Welcome to paradise!

Keine Sorge: Paradise Killer ist weitaus weniger abstrus, als es zunächst den Anschein hat. Es braucht nur eine Weile, bis man sich vollends in diese eigenwillige Welt hineingedacht hat. Ich bin jedenfalls recht lange ziellos umher geirrt, bis ich Sinn und Spielfluss des Szenarios verinnerlicht hatte. Man muss erst mal verstehen, dass es sich um eine eigenständige Realität handelt, die jenseits der unseren existiert, obwohl sie durchaus mit ihr verbunden sein könnte, dass die Namen von Personen wie Vorgänge oder Beschreibungen einer Berufung klingen, dass die erwähnten Pappaufsteller tatsächlich Charaktere darstellen und dass man den Mordfall theoretisch gar nicht aufklären muss, sondern sofort nach Erhalt der Aufgabe vor den Richter treten und beliebig Schuldzuweisungen aussprechen könnte.

Ein zentrales Merkmal ist nämlich die große Freiheit, mit der man sich als Love Dies (kurz: LD) frei auf der Insel bewegt, immer mit allen Figuren sprechen und eben jederzeit den Prozess starten kann, der als großes Finale dient. Dialoge und Täter sind dabei immer die gleichen – man entscheidet lediglich darüber, wen man verurteilen möchte. Warum man das macht, bleibt einem komplett selbst überlassen.

Zwiebelmuster

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So eigenwillig das Artdesign auch sein mag, so nachvollziehbar ist das vermeintliche Paradies in Stadtviertel mit verschiedenen Funktionen unterteilt. (PC) © 4P/Screenshot

Man benötigt allerdings genügend Beweise, wenn man dafür sorgen will, dass der Richter eine angeklagte Person auch verurteilt. Und die findet man u.a. in zahlreichen Unterhaltungen mit den etwa zehn Verdächtigen, die sich teilweise selbst sowie gerne gegenseitig belasten. Was davon der Wahrheit entspricht, muss man natürlich ebenfalls erst untersuchen, wobei sich ständig neue Ebenen und Einsichten auftun, die den Mordfall stets interessanter machen.

Dem britischen Indie-Studio Kaizen Game Works gelingt es dabei ganz hervorragend die Spannung zu halten, ohne seine Spieler mit einer Flut an Informationen zu überfordern. Ein Grund dafür sind die ausgesprochen gut sortierten Fakten in LDs Computer, genannt Starlight: Sämtliche Hinweise, Spuren, Beteiligte und andere Daten werden dort automatisch so eingetragen, dass man jederzeit den Überblick über die oft miteinander verwobenen Geschehnisse behält.

Ein anderer Grund ist das ständige Vertiefen des Szenarios, dem Kaizen nicht nur eine ins Auge fallende Oberfläche spendiert, sondern vor allem eine faszinierende Mythologie. Nach dem anfänglichen Sprung ins kalte Wasser bin ich den überall ausgelegten Krümeln jedenfalls sehr aufmerksam und höchst interessiert gefolgt. Weil das schrittweise Kennenlernen der Welt wichtig fürs Erlebnis ist, will ich nur nichts vorweg nehmen und lediglich so viel sagen, dass die Entwickler geschickt unsere Wirklichkeit und ihre Legenden nutzen, um eine auch innerhalb der Spielewelt wunderbar eigenständige Realität zu erschaffen.

Akrobatisches Entdecken

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Leider merkt man der Switch-Version an, dass sie im Nachgang der PC-Fassung entwickelt wurde: Viele grafische Details gehen besonders in der Entfernung verloren und Schatten sind nur im Umkreis von wenigen Metern sichtbar. An wenigen Stellen gibt es auch kleine Fehler in den Kulissen. (Switch) © 4P/Screenshot

Die Welt ist ja auch deshalb interessant, weil man Indizien nicht nur in Gesprächen mit Verdächtigen findet. Die erhält man zu einem großen Teil nämlich auch beim freien Umherlaufen. Dafür muss man oft sogar geschickt über Zäune, Dächer und Hügel springen, weshalb ich mich wie in einer Art Crackdown wähnte. Steuerung und Präzision haben mit der Akrobatik des großen Actionspiels natürlich wenig gemein, aber es braucht schon ein gutes Auge und etwas Fingerspitzengefühl, um alle Verstecke zu erreichen. Wenn ihr wisst, wie man in manchen Shootern nach einem Sprung die Taste zum Ducken drückt, um einen hohen Vorsprung zu erreichen, der vielleicht gar nicht dafür vorgesehen ist erreicht zu werden – so fühlt sich hier vieles an. Die Akrobatik vermittelt nicht den Eindruck einer realen Welt, aber als reine Spielwiese wirkt die Insel sehr plastisch.

Wichtig ist das nicht nur zum Aufspüren von Beweisen, sondern auch zum Auflesen von Blutkristallen, die als Zahlungsmittel zum Freischalten von Schnellreisepunkten sowie der Schnellreise selbst dienen. Es ist seltsam: Denke ich über Paradise Killer nach, müsste das recht profane Hüpfen und Sammeln eigentlich furchtbar langweilig sein. Weil alles Gefundene aber für die Ermittlung von Bedeutung ist, die Mythologie vertieft oder wertvolle Währung bringt, funktioniert es erstaunlich gut. Durch die Freiheit beim Erkunden hat man einfach das Gefühl jedes Indiz durch eigenes Geschick zu entdecken und das ist ein großer Ansporn. Zumal man gelegentlich auch kleine Rätsel lösen muss, um z.B. verschlossene Türen zu öffnen.

  1. Ich empfand leider auch, dass das Ende qualitativ der schwächste Part war und hätte mir mehr Freiheit gewünscht (gerade weil man bis dahin so frei ist). Aber dennoch fand ich sonst das ganze erfrischend und unterhaltsam.

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