Ein Scheißtag

Der namenlose Held, den man in Westerado: Double Barreled wahlweise mit Pad oder WASD-Steuerung durch die in vornehmlich Gelb-, Braun- und Orangetönen gehaltene 16Bit-Pixelkunst-Prärie jagt, hat einen denkbar schlechten Tag erwischt. Eigentlich wollte er nur dem Wunsch seiner Mutter folgen und seinem Bruder helfen, Büffel in den Pferch zu treiben. Doch eines der Viecher büxt aus. Er folgt ihm, kann es wieder einfangen und kehrt nach Hause zurück. Doch dort findet er einen Albtraum vor: Die Ranch steht in Flammen, die Mutter wurde getötet und der Bruder liegt im Sterben. Er fleht um den Gnadentod, nachdem er einem einen sechsschüssigen Revolver und einen Hut in die Hand gedrückt hat. Einen Schuss später macht man sich auf den Weg zum Onkel, der eine Ranch weiter wohnt.

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Die Bewohner in den Städten reagieren auf die Aktionen des namenlosen Helden. © 4P/Screenshot

Nachdem man eine Nacht drüber geschlafen und mit dem Onkel seine Optionen besprochen hat, geht der Rachefeldzug los. Das Problem: Man hat zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wer der Täter war und nur einen vagen Hinweis. Weitere Anhaltspunkte bekommt man nur, indem man mit der Bevölkerung spricht oder Aufgaben für bestimmte Figuren erledigt. Diese können von Hol- und Bringdiensten bis hin zu Duellen oder Auslöschen ganzer Gangster-Banden reichen. Hat man schließlich ein vollständiges Bild vom Täter,  muss man den feigen Mörder erst noch finden und stellen. Die Jagd nach Hinweisen, Indizien und Beweisen erscheint oberflächlich betrachtet sehr stereotyp und beliebig, doch es gibt einige Elemente, die aus dem Pixelkunst-Western etwas Besonderes machen.

Red Dead Westerado?

Dazu gehört natürlich der Schauplatz. Es gibt für meinen Geschmack auf dem PC viel zu wenige Westernspiele. Sicher: Techland hat mit Call of Juarez ein paar ordentliche Abstecher in die Pionierzeit Amerikas abgeliefert. Doch ein Abenteuer von dem Kaliber eines Red Dead Redemption hat seinerzeit ebensowenig den Weg auf die Rechner gefunden wie der Vorgänger Red Dead Revolver. Auch Westerado kann in vielerlei Hinsicht keinen adäquaten Ersatz für Rockstars Wildwest-Epos bieten, dessen Fortsetzung hoffentlich bald (und dann auch für den PC) angekündigt wird. Die erbarmungslose Welt, die man erforscht, ist zwar ebenfalls offen,

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Die Pixelkulisse zeichnet eine stimmungsvolle Western-Welt. © 4P/Screenshot

aber weder so umfangreich noch so prächtig. Stimmungsvolle Bilder zeichnet die Pixelkulisse dennoch. In anderen Bereichen geht Westerado jedoch weiter als Red Dead – sogar weiter als Bioware sich jemals getraut hat. Konsequenzen wie hier und (im Rahmen der eingeschränkten Möglichkeiten) Entscheidungsfreiheit wie hier habe ich selten in einem Spiel erlebt.

In den Gesprächen, die man mit absolut jeder Figur führen kann, gibt es zwar keine große Themenvielfalt und die Dialogbäume sind überschaubar. Dafür jedoch kann man zu jedem Zeitpunkt im Gespräch die Waffe ziehen und so den Verlauf entscheidend beeinflussen. Denn je nachdem, wer einem gegenübersteht, wird die Flucht ergriffen, erhält man die Aufforderung, die Knarre wieder wegzustecken oder wird vom Gegenüber bedroht. Mitunter nimmt das Gespräch auch eine andere Richtung. Und es geht noch einen Schritt weiter: Spannt man den Hahn, können wiederum neue Gesprächspfade entstehen – aber natürlich auch eine niedrigere Toleranzschwelle des Dialogpartners. Damit ist jedoch nicht Schluss: Wenn man des Smalltalks überdrüssig wird oder einem die Sicherungen durchgehen, kann man auch jede Figur des Mordes an der Familie beschuldigen und den Abzug drücken!


  1. Wurmjunge hat geschrieben: Minimalistische Grafik stört meine Immersion nicht im geringsten, minimalistisches Gameplay auf der Basis umständlicher Bedienelemente dagegen sehr.
    Das ist eben ein wichtiger Punkt, die Spielbarkeit ist halt ein immenser Faktor, auch wenn man oft zuerst auf Umfang, Grafik und Geschichte achtet.
    Ich stimme v3to zu, dass es eine sehr große Herausforderung ist ein funktionierendes Team aufzustellen, also 8bitLegend hat sich da trotz seiner noblen Ansichten in ein Thema verrannt. Es ist ja nicht so, dass nur Eigenbrötler Indie-Spiele machen, denn ein größeres Team frisst doch auch mehr finanzielle Mittel auf, braucht viel mehr organisatorischen Aufwand. Wenn man dann seine ersten Spiele konzipiert wird man schnell mal scheitern, Metascore technisch gesehen.
    Auch erfolgreiche Schwarmfinanzierungen reichen da nicht immer aus, um den ganzen Bedarf zu decken. Es kommt der Punkt an dem man eben Kompromisse eingehen muss um das Ganze endlich fertig zu kriegen. Gerade das Artwork ist ja eine heikle Sache und v3to hat da wie ich finde einen tollen Einblick gegeben.
    Schneller ginge es vielleicht mit richtigen Investoren, aber da ist man hierzulande einfach zu skeptisch oder es fehlt schlicht das Geld.

  2. Luststrolch hat geschrieben:Wenn man es mit Musik vergleichen möchte, dann würde man es wohl mit dem traditionellen Black Metal vergleichen.
    Auch übergreifend ein treffender Vergleich. Jedem seine Zielgruppe.
    Ich für meinen Teil genieße Pixelgrafik selbst auf Großbildleinwand, wenn sie gekonnt umgesetzt wurde.

  3. 8BitLegend hat geschrieben:Der Ansatz heutiger Indies mag vom Selbstverständnis her ein noblerer sein (Selbstverwirklichung statt Trittbrett), das Ergebnis ist dennoch eine Überflutung des Marktes mit einer Vielzahl irrelevanter Nischentitel.
    Es wäre wünschenswert, wenn sich das vorhandene Potential stattdessen bündeln würde. Das muss nicht zwangsläufig in die Überführung in klassische Strukturen münden. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich langfristig eine Parallel-Industrie entwickelt, die den heutigen Indies entspringt. Das wird nötig sein, um die skizzenhafte Natur der meisten heutigen Indie-Games zu überwinden und die guten Ideen auf ein Niveau zu bringen, das mit der audiovisuellen Qualität von Großproduktionen mithalten kann.
    Gerade die "irrelevanten Nischentitel" sind doch das tolle an der Indie-Szene und daß die aktuell so boomt wie ich es mir vor wenigen Jahren nicht hätte vorstellen können, liegt vor allem daran, daß es eine unheimliche Menge eben doch relevanter Nischen zu besetzen gibt.
    Der Anspruch auf eine auf dem aktuellen Stand der Technik bestmögliche audiovisuelle Präsentation hat ja erst dazu geführt, daß mit der Zeit immer mehr und mehr Nischen unbesetzt blieben.
    Ich denke es ist die Masse der Indieproduktionen, die Spielentwicklung wieder zur Kunstform erhebt, das breitere Spektrum ermöglicht erst die herausragenderen Werke.
    Aus der Not, mit geringsten oder gar keinen finanziellen Mitteln und den dadurch begrenzten technischen und personellen Möglichkeiten, eine Tugend zu machen und mit inhaltlichem und stilistischem Eigensinn und Schlüssigkeit , also mit stärkerem künstlerischen Ausdruck zu punkten - ich finds klasse, daß der Markt das aktuell hergibt und hoffe darauf, daß diese Phase noch ein paar Jahre anhält.
    Nichtsdestotrotz würde mir persönlich Westerado mit mausgesteuertem gezielten Schießen wohl wesentlich mehr Laune bereiten, ich werde mit den Kämpfen einfach nicht warm, das ist mir eindeutig zu viel des Guten....

  4. USERNAME_1494092 hat geschrieben:
    8BitLegend hat geschrieben:Klar - Reduktion ist immer dann ein Stilmittel, wenn einem technologisch gesehen aufwändigere Optionen zur Verfügung stehen. Was mache ich als Komponist, wenn ich keine Band und schon gar kein Orchester zur Verfügung habe? Ich kann hochqualitative Sample-Libraries nutzen und versuchen mich an eine entsprechende Referenz-Qualität heranzutasten.
    Und hier scheinst du meine posts nicht verstanden zu haben oder nicht verstehen zu wollen:
    Bleibe ich in deinem beispiel mit dem orchester entsteht pixel art eben oft so, dass Quasi das volle orchester aufgenommen wird und danach schritt für schritt zu chiptune dekonstruiert wird. Hier also davon zu reden, dass manchen pixel artists bestimmte sachen nicht zur verfügung stehen oder so etwas nicht können ist einfach falsch bzw. mangelnde kenntnis der materie. Ich hab schon mit leute zusammen gearbeitet die über 20 jahre im business sind, bei firmen wie Capcom und EA waren. Diese leute sind mit der industrie gewachsen und machen dir unglaublich gute highres art, wenn sie müssen. ihr herz schlägt aber insgeheim für pixel art. Und manche gehen beim erstellen dieser eben den beschriebenen langen weg über highres zu pixel weil das gerade bei den großen japanischen firmen früher so praktiziert wurde und sie es so gelernt haben. man hat dann am ende schon fast 2 grafik sets. Hier also davon zu sprechen, dass jemanden bestimmte techniken, fähigkeiten oder mittel nicht zur verfügung stehen ist falsch. es ist eine bewusste styl eintscheidung, die oft mehr arbeit ist und wesentlich mehr können abverlangt.
    Mir kommt es so vor, als ob du diesen punkt bewusst überspielst, um deine argumentation aufrecht zu erhalten obwohl sie einfach nicht richtig ist. aber ich denke argumentieren ist wohl einfach eine verlorene tugend...
    Wenn man es mit Musik vergleichen möchte, dann würde man es wohl mit dem traditionellen Black Metal vergleichen. Dort könnten (gerade die erfolgreicheren...

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