Es ist schon ein ganz besonderes Gefühl, wenn plötzlich ein Meter hohes, selbstgebasteltes Modellauto vor mir steht – gebaut nur aus ein paar Streben und sich drehenden Walzen. Ich schnappe mir noch einen Holzbalken aus der Palette, ziehe ihn mit beiden Händen lang, pappe zwei Klebekugeln an die Enden und bringe ihn als Querstrebe an, um dem klapprigen Gefährt mehr Stabilität zu verleihen. Dann klebe ich noch das Wichtigste an das Vehikel: Die kleine leuchtende Kugel, welche ich ins große leuchtende Zielgebiet befördern muss. Diese Grundaufgabe bleibt fast immer gleich, allerdings muss ich in späteren Levels immer mehr Hindernisse umschiffen – oder gleich mehrere Kügelchen ins Ziel befördern. Nachdem mein primitives Auto fertig ist, richte ich es noch mit der Hand passend aus, stelle es auf den Boden und drücke Start. Mist: Es rollt zwar nach vorne, driftet aber zu sehr nach links ab. Also bessere ich die Karosserie ein wenig aus, indem ich die Stangen zurecht zerre. Beim zweiten Durchgang wackelt es in die korrekte Richtung, allerdings hängt diesmal das Kügelchen zu niedrig, um ins Ziel zu gelangen. Also nochmal zurück in den Editor und nachbessern. Ich pfropfe mit ein paar Stäben eine Art Kran aufs Auto, stecke die Kugel an die Spitze – und siehe da: Das wie eine Abrisskugel vom Kran baumelnde Kügelchen schwingt ins Ziel!
Um den Spieler in der ungewohnten Umgebung nicht zu überfordern, hat Northway Games die Welt und die Werkzeugpalette so beruhigend und einfach wie möglich gestaltet. Die sonnigen schwebenden Inseln werden stets technisch sauber dargestellt und nur von ein paar fluffigen Wolken und kleinen Sternbildern umgeben. Nichts lenkt von den klar und minimalistisch designten Rätseln ab. Sogar mein „Werzkeugkasten“ hat die Gestalt einer putzigen schnurrenden Katze: Nach einem Doppelklick schwebt sie zu mir, angetrieben von kleinen Pups-Wölkchen (ja, wirklich!). Der Ambient-Soundtrack spielt derweil nur entspannend seichte Akkorde, damit die Gedanken in Ruhe um die eigenen Konstruktionen kreisen können. Das Schönste dabei ist der hohe Grad an Freiheit. Es gibt fast nie nur eine einzige Lösung: Mal baue ich eine Art nach oben gebogene Panzerkette, die auch über hartnäckige Huckel poltert – bei einem zweiten Versuch eine kleines Förderband, bei dem sich eine Kette aus kleinen verknüpften Holzstreben so lange um eine Walze wickelt, bis das Körbchen mit dem Kügelchen am Ziel ist.
Die große Bastelfreiheit
Die Aufgabenstellungen fordern die Kreativität mechanischer Bastler und geben oft im Titel schon kleine Hinweise. In „Basket Case“ ist zum Beispiel ein Korb gefragt, der die fallende Kugel im passenden Moment auffängt und z.B. durch Umfallen eines Gerüsts ins Ziel befördert. Einfach aber faszinierend! Schön auch das Level, in dem ich lediglich zwei Kugeln in eine Murmelbahn stoße. Damit sie ans Ziel gelangen, muss ich zusätzlich im richtigen Moment eine Wand vorm Ziel aus dem Weg stoßen, z.B. mit einem einfachen Fahrzeug. Im Vergleich zu Titeln wie Crazy Machines 3 wirkt die winzige Zahl an Instrumenten natürlich ziemlich mickrig: Es gibt lediglich massive Holzbohlen sowie transparente Streben ohne Kollisionsabfrage, die sich als Kolben für einen Motor nutzen lassen. An ihren Enden steckt man sie einfach mit Kugelgelenken zusammen – und verstärkt das Konstrukt ggf. mit pechschwarzen Kleberkugeln oder Querstreben.
Dazu kommen rotierende Walzen, welche sich als Rad oder Motor nutzen lassen. Wer den exakten Weg seiner Schöpfung nachvollziehen möchte, kann außerdem kleine Marker an den Ecken befestigen, die einen leuchtenden Schweif hinter sich her ziehen. Das Zusammenspiel all dieser Elemente erschafft das körperlich vereinnahmendste Knobelspiel, das mir je begegnet ist: Ich gehe in die Knie, um an der Achse zu feilen, hebe das komplette Konstrukt in die Höhe, drehe die Werkzeugkatze auf den Bauch, pflücke ein paar weitere Stäbe heraus, stecke sie zusammen, ziehe sie mit ausladenenden Gesten in die Länge und vieles mehr. Ab und zu kommt mir dabei leider das lästige Kabel der HTC Vive in die Quere.
Kinderkrankheiten der Physik-Engine
Manchmal wird es mir sogar zu knifflig: In einem Level ist das Ziel z.B. weit von meiner schwebenden Insel entfernt. Wie zum Henker soll ich dorthin kommen? Bei akuten Denkblockaden lassen sich zum Glück alle Levels überspringen. Oder ich lade mir einfach erfolgreiche Kreationen anderer Nutzer oder von Freunden herunter. Schon beim Laden einer erfolgreichen Konstruktion dämmert es mir: Ach so, die in der Luft schwebenden Bögen lassen sich als Schienen benutzen. Einfach ein Gefährt bauen, das den dünnen Bogen wie eine Schienenbahn umfasst und ab geht die Post! Schade, dass man die Levels nicht mit verdienten Sternen oder einem ähnlich motivierenden System freischalten muss. Wer will, kann sogar mit heruntergeladenen Nutzerkreationen aus dem Netz betrügen – nicht gerade anspornend. Es gibt aber immerhin einige Auszeichnungen für kreative Lösungen.
Trotz der meist erfreulich präzisen Steuerung gestaltet sich das Basteln in der Praxis nicht immer einfach genug. Ich bemerkte schnell, dass die Physik-Engine und die Bedienung noch viel Potenzial für Verbesserungen besitzen. Wenn ich das Dach meines Gefährts langziehe, kann es passieren, dass eine nach unten reichende Strebe das komplette Auto verformt – oder anderswo sogar ein Kugelgelenk aus der Verankerung springt. Oft habe ich also versehentlich meine schönen Bastelarbeiten verschlimmbessert und musste sie danach wieder mühevoll zurecht zupfen. Hier sollten die Entwickler noch mit komplexeren Bedienungsmöglichkeiten nachbessern – und Funktionen wie eine Rückspul-Möglichkeit einbauen. Allgemein bleibt die Handhabung deutlich zu rudimentär. Im Gegenzug ist es aber erstaunlich, welch abenteuerliche Konstruktionen sich selbst mit solch einfachen Werkzeugen auf die Beine stellen lassen – und wie unterhaltsam die Aufgaben darauf abgestimmt wurden.