Fazit
Wenn man The Old City als philosophischen Spaziergang betrachtet, dann weckt dieser durchaus Interesse, weil es um existenzielle Fragen vom Glauben bis zur Gewalt, von der Erlösung bis hin zur Selbstzerstörung sowie eine utopische Gesellschaft geht. Und dafür gehen die Stimme und die Kulisse als Elemente des Storytellings eine Symbiose ein, indem sie parallel erzählen. Theoretisch eine gute Idee, aber in der Praxis sehr ermüdend. Dear Esther wirkte auf mich so magisch wie eine Kurzgeschichte von Ray Bradbury. The Old City wirkt dagegen so verkopft wie ein Hörspiel, das von Peter Sloterdijk in einem Anflug surrealer Umnachtung eingesprochen wurde. Ich weiß zu schnell, dass es hier nur um irgendein Begreifen gehen soll, zumal man den einzigen interaktiven Aspekt dafür einsetzt, mit seitenlanger Lektüre eine überflüssige dritte Erzählebene aufzubauen. So bleibe ich bei der Erkundung der teils surrealen Schauplätze an der Oberfläche, denn es entsteht beim ewigen Monologisieren kaum eine emotionale Anbindung. Es ist schade, dass man nicht tiefer in die weltanschaulichen und religiösen Betrachtungen hineingezogen wird, indem man auch mal selbst aktiv mitdenken oder mitentscheiden darf. Oder indem man die Kulisse und Effekte (!) markanter einsetzt. So irrt man passiv umher, stürzt sich in Abgründe und lauscht einer Stimme, bis es langweilig wird. Am Ende fühlt man sich wie nach einem verkopften Hörspiel. Selbst wenn mich dieses Storytelling nach knapp zwei Stunden ernüchtert hat: Es ist wichtig, dass weiter mit dem Medium experimentiert wird.Wertung
PC
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The Old City ist so verkopft wie ein Hörspiel, das von Peter Sloterdijk in einem Anflug surrealer Umnachtung eingesprochen wurde. Man spaziert bei ständigen Monologen an der philosophischen Oberfläche.
zum einen ist dear esther deutlich kürzer, was hier tatsächlich ein vorteil ist. das pacing (die schnelligkeit des spielflusses) ist, wobei trotzdem nicht hoch, dennoch deutlich höher als bei the old city: leviathan wodurch letzteres sich sehr viel mehr zieht und hart an der konzentrationsfähigkeit des spielers zehrt.
beide spiele funktionieren in etwa so, dass mehrere, zum teil ineinander verwobene geschichten audiovisuell erzählt werden. also durch das erkunden und einem erzähler. bei leviathan vor allem aber durch texte. und davon gibt es reichlich. nicht nur die ellenlangen sammeltexte, auch findet man alle nase lang mit tagebüchern oder dokumenten geschmückte wände oder offene bücher.
und in der geschichte kommt nun der eigentliche knackpunkt beider spiele: wo dear esther noch herrlich interpretierfreudige, aber dennoch stringend erzählte stories bot, verirrt sich der autor oder die autoren von leviathan in philosophischen ergüssen. die verschiedenen figuren sind innerhalb der handlung schwer zu verorten, bedienen sich zum teil ausufernder rhetorik, springen in ihren gedanken hin und her und machen entwickungen durch, die zum teil nur sehr schwer nachvollziehbar sind. um die sache komplett konfus zu machen, baut man elemente und symboliken aus religion und historischer mythologie ein. etwa die minotauren, moses oder könig salomon.
die eigentlich interessante, dystopische rahmenhandlung wird dann zum ende hin komplett fallengelassen und verliert sich in unnötig angeschwollene, existenzielle fragen in verbindung mit...
Allein der Titel weckt bei mir Assoziationen. Ich denke an Lovecraft, natürlich an Moby Dick, an die Doom-Metal-Band Ahab (die sich ebenfalls mit Moby Dick beschäftigt haben), an dunkle, vergessene Orte und düstere Geschichten. Aber auch an eine gewisse Entschleunigung. An Brauntöne, an knisternde Schallplatten und verkratzte Filmaufnahmen. Thematisch rennt man bei mir mit solchen Sachen offene Türen rein. Insofern werde ich definitiv mal hereinschauen.
@Grinder:
Ich hab das schon verstanden. Aber gerade deswegen, weil zwei kurze Spiele einmal schlecht und einmal gut bewertet werden, sowie längere Spiele ebenso die komplette Bandbreite zwischen meinetwegen 5 und 95 % abdecken, sollte man doch, in Verbindung mit den Argumenten, die hier schon wirklich oft geliefert wurden, langsam mal verstehen, dass die Spielzeit kein relevantes Kriterium ist. Und wenn doch, dann ganz klar auf das Genre/Spielprinzip bezogen.
Hatte im Studium ein Rethorik- und Freisprech-Seminar besucht. Da hat uns der Seminar-Leiter zu einem Termin ins Museum gebeten, wo wir dann vor ausgewählten Gemälden, von denen wir alle keinen blassen Schimmer hatten, aus dem Stehgreif einen gebildet klingenden Vortrag über das Werk halten sollten. Bedingung war, selbst bei zufällig vorhandenem Fachwissen NICHT auf dieses Wissen zurückzugreifen. Er wollte mit uns "gut klingenden Bullshit" üben. Dafür braucht man aber eine ganze Menge Allgemeinwissen und etwas Ahnung, ansonsten fehlen einem Begrifflichkeiten, um die Leere mit heißer Luft zu füllen. Der "Sieger" war ein Soziologe, der es überzeugend verstand irgendein Rennaissance-Bild mit dem Cargo-Cult der Ureinwohner auf Papua-Neuginea zu verbinden, ohne dass es lächerlich wirkte.
Hmm, ich warte sehnsüchtig auf den Kunstkritik-Simulator!
Ich mein, wenn jemand bspw. amerikanische Geschichte studiert, dieses Fach seit 20 Jahren als Professor lehrt, mehrere Sprachen spricht, 10 Jahre in Asien lebte und sich Privat sehr für klassische Musik interessiert, ist das sicherlich ein sehr gebildeter Mensch. Ein Intellektueller. Aber wenn er dann zusammen mit dem unstudierten Handwerker Hans Müller im Museum vor einer Skulptur von Da Vinci steht, hat er deswegen auch nicht zwingend mehr Ahnung, schließlich fällt weder die Bildhauerei, Italien noch der Künstler selbst in dessen Metier oder auch nur Interessengebiet.