Vorräte, Ruf und Moral

All diese Multiple-Choice-Momente erinnern angenehm an Abenteuer-Spielbücher wie Sorcery!. Zwar führen sie nicht immer in komplett andere Situationen, aber sie haben immer Konsequenzen. In der Karawane befinden sich zu Beginn 597 Clansmen, die mit ihren Familien Vorräte beschaffen können, 286 Fighter, die genauso wie die 211 Varl kämpfen können – ihre Anzahl kann in manchen Konflikten entscheidend sein. Größere Schlachten werden allerdings weiter über ein Auswahlmenü simuliert: Trifft man z.B. auf eine Armee, hat man einige taktische Optionen, die nicht im Feld, sondern lediglich als Texte abgehandelt werden. Man kann vorwärts stürmen, sich offensiv formieren, den Feind defensiv aufhalten, sich zurückziehen oder erstmal die Lage sondieren.

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Die Qual der Wahl entsteht in alltäglichen und dramatischen Situationen. © 4P/Screenshot

Aber soll man tatsächlich aus hundert Clansmen weitere hundert Kämpfer machen? Auch diese Umschulung gehört neben dem aktiven Ernten zu den kleinen Neuerungen. Aber Vorsicht: Die neuen rekruten vertilgen auch mehr Vorräte und sammeln selbst nichts. Nach einer Entscheidung kann sowohl der Ruf der Gruppe als auch die Moral aller Flüchtlinge steigen oder sinken, man kann Nahrung finden oder eine der Gruppen numerisch stärken oder schwächen. Weil sich der Ruf sowie Moral direkt auf die Entwicklung der Charaktere und den Kauf sowie die verfügbare Willenskraft in den folgenden Rundenkämpfe auswirken, grübelt man länger, bevor man antwortet – eine tolle Verzahnung von Storytelling und Spielmechanik. Apropos Entwicklung: Es gibt neue Spezialisierungen wie z.B. den “Lucky Shot” oder andere, wenn man Maximalwerte in den bekannten Talenten erreicht.

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Auch die Charakterentwicklung hat Konsequenzen: Schließlich braucht man dafür den Ruhm, den man auch in Vorräte oder Ausrüstung investieren könnte…und was wertet man bloß auf? Schön ist, dass es neue Spezialisierungen wie den Lucky Shot gibt, wenn man Maximalwerte erreicht. © 4P/Screenshot

Und Stoic hat beides in diesem zweiten Teil aufgewertet: Man trift auf weitere, wenn auch nicht immer besonders interessante, Charaktere sowie ein neues Volk von Pferdemenschen und erfährt auch endlich mehr über die Dredge oder die Spielwelt, so dass sich bessere Zusammenhänge ergeben.

Zum einen gibt es jetzt häufiger Kommentare der Gefährten, sowohl auf der Reise als auch mitten im Kampf – das wirkt lebendiger und verleiht den Charakteren mehr Persönlichkeit. Zum anderen hat man die Rundengefechte nicht nur um wabernden Nebel sowie mehr überraschende oder magische Ereignisse, sondern auch um neue Feindtypen, Monster sowie zerstörbare Hindernisse auf dem Schlachtfeld bereichert, die man erstmal beseitigen oder umgehen muss; so können sich Bogenschützen oder Magier etwas länger halten. Es gibt kleine krabbelnde Kreaturen namens “Skulker”, die einen aufhalten oder Dredge heilen, hinzu kommen neue Angriffsarten auf beiden Seiten. Und ganz wichtig: Man muss nicht immer bis zum letzten Mann kämpfen, sondern kann frühzeitig siegen, indem man Schlüsselfiguren ausschaltet oder eine bestimmte Rundenzahl ausharrt – eine gute Entscheidung.

Unter dem schwarzen Banner der Raben


Spätestens wenn sich die Karawane aufteilt und man neben Rook, dem Jäger, auch mit dem kleinen Trupp von Bolwerk

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Mit Berserker Bolwerk ist nicht zu spaßen…ups, plötzlich darf man ihn selbst spielen, als sich die Karawane teilt! © 4P/Screenshot

unterwegs ist, nimmt dieses Abenteuer richtig Fahrt auf. Der Perspektivwechsel zu diesem scheinbar unberechenbaren Varl, seiner knallharten Schildmaid und seinen scheinbar skrupellosen Söldnern, den Raben, ist einerseits erzählerisch interessant. Schließlich führt man jetzt in der Rolle dieses cholerischen Hünen die Gespräche, muss sich in seine Sichtweise hineinversetzen und kann – “guten” Gewissens? – auch mal die Sau lassen. Oder täuscht das Bild und man entdeckt in der Biografie dieses Varls ganz andere Züge? Findet es heraus. Sehr schön ist, dass man auch seine Entscheidungen treffen kann, ohne in ein moralisches Korsett gezwungen zu sein. Man kann seine toughen Krieger also auch mit Milde entsetzen…

Und nicht zu vergessen: Bolwerk erfährt auf seiner Reise auch Dinge, von denen der andere Trupp nichts weiß – es ist

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Im Training kann man sich mit den neuen Kampfmanövern des Berserkers vertraut machen und Herausforderungen meistern. © 4P/Screenshot

klasse, wie diese Zweigleisigkeit auch dramaturgisch genutzt wird. Zumal der Wechsel von Bolwerk zu Rook meist genau dann stattfindet, wenn die Neugier mit dem letzten Dialog oder einer Enthüllung nochmal verstärkt wurde. Stoic ködert einen mit seiner Erzählweise so geschickt, dass man kaum aufhören kann zu spielen.

Andererseits ist seine Karawane auch spielerisch interessant: Der Trupp aus Menschen und wenigen gehörnten Riesen bzw. Varl trifft auf ganz andere Probleme und Charaktere als Rook und seine Gefährten. Zwar kämpfen auch sie rundentaktisch mit bis zu sechs ausgewählten Kriegern gegen Feind, aber da Bolwerk ein Berserker ist, muss man etwas anders in die Gefechte gehen – schließlich trifft er bei seinen wilden Hieben auch umstehende Freunde. Auch seine Schildmaid und sein Skalde haben spezielle Fähigkeiten wie den besonderen Schutz aller Umstehenden oder etwa Schmähverse, die den Verspotteten in seiner Inititaive nach hinten werfen, so dass er quasi schmollend aussetzen muss.

Solides Kampfsystem

Schade bleibt, dass Höhen oder Untergründe weiter kaum eine Rolle im Kampf spielen; genauso wenig wie deutlich sichtbare Hindernisse, durch die man trotzdem Pfeile jagen kann. Die Gefechte finden auch weiterhin in einem flachen, relativ kleinen Raster statt. Sehr schön ist, dass man die kampfmechanischen Neuerungen im Lager trainieren kann. Und

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Schafft man es, die zaubernden Kollegen lang genug zu schützen? Die Rundenkämpfe sind abwechslungsreicher. Man muss auch nicht immer bis zum letzten Mann agieren. © 4P/Screenshot

zwar nicht einfach so, sondern inklusive Herausforderungen, die einem wichtige Belohnungen bringen. So kann man die richtige Taktik für jede Klasse finden. Aber ansonsten beruht das Kampfsystem weiter auf dem guten Fundament des Vorgängers: Man kämpft nicht wie so häufig eindimensional gegen Lebenspunkte der Gegner, sondern kann entweder ihre Rüstung oder ihre Angriffsstärke schwächen, die gleichzeitig ihre Gesundheit repräsentiert. Einen stark gepanzerten Feind muss man also erstmal weich klopfen, bevor man überhaupt durchschlagenden Schaden erzielen kann. 

Hinzu kommen viele klassische Parameter, die für Vielfalt sorgen: Es gibt Nah- und Fernkämpfer sowie eine Art Magier; man kann Fallen auslegen, Öle per Pfeil entzünden, Blutungen auslösen oder Feinde per Rammattacke ein paar Felder wegschleudern. Man kann Gegner markieren, damit alle Verbündeten ihren Bogen auf sie richten. Man kann provozieren, um Schaden zu leiten; man kann seine Rüstung stärken oder die mehrerer Feinde über durchschlagende

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Auf der edlen Karte kann man sich über alle Örtlichkeiten informieren. © 4P/Screenshot

Hiebe zerbröseln. Man kann die Initiative ändern und damit die wichtige Reihenfolge der Attacken beeinflussen. Es gibt Rundumschläge und Schusstechniken, die mehrere Feinde entweder im Uhrzeigersinn oder in einer ganzen Reihe treffen.Die letzte Würze kommt durch das Sternesystem hinzu: Man kann sowohl seine Bewegungsreichweite als auch seine Angriffe mit Sternen aufwerten, um weiter laufen oder schwerer zuschlagen zu können. Hinzu kommt eine universelle Anzahl für alle Beteiligten, wenn man Feinde tötet. Der Einsatz dieser Sterne kann über den Sieg entscheiden. Man muss also taktisch ein wenig umdenken, was sich auch auf die Charakterentwicklung mit ihren sechs Fähigkeiten auswirkt, denn mindestens genauso wichtig wie Strength sind z.B. Exertion und Break: Ersteres beeinflusst die Anzahl an Sternen, die man zusätzlich in Bewegung und Attacke investieren kann. Letzteres beeinflusst die Menge an Schaden, den man der Rüstung zufügt.

  1. Schönes Spiel. Persönlich gefällt es mir sogar noch einen Ticken besser als der erste Teil.
    Auf normal sicher nicht schwer, aber auch nicht zu einfach.
    Ich habe den Schwierigkeitsgrad etwas künstlich erhöht: Niemand meiner Leute durfte down gehen.
    Wer es schwieriger braucht, spielt auf schwer oder vielleicht sowas wie Darkest Dungeon, habe ich noch nicht gespielt, will ich aber noch, vermutlich das aber auf einfach. Wer mehr taktische Tiefe braucht, den lege ich sowas wie Disgaea ans Herz.

  2. Hab gerade den Test von Jörg Langer gelesen - und auch wenn ich seine Wertung nicht sehe (nach dem Ausloggen schon: 7 von 10), entspricht das Fazit fast der Meinung, die ich bereits beim ersten Teil hatte. Wohl ziemlich stark ne Geschmacksfrage.

  3. das Problem mit der Taktik im ersten teil ist, dass es zu wenig Abwechslung zwischen den jeweiligen kämpfen gibt. der Kampf ist zwar durchaus komplex, aber er wiederholt sich zu oft.
    ansonsten würde ich das auch mit Schach vergleichen, weil das spiel einem die folgen verrät, wenn etwas gemacht wird. So kann man zug für zug vorausplanen, überlegen, wo der folgende Gegner angreifen könnte, ob einem kämpfer dann noch genug übrig bleibt, ob sich ein rüstungsangriff hier lohnt, - bis einem der Schädel brummt. dabei denke ich immer defensiv, damit bloß der Gegner nichts anrichten kann.

  4. TaLLa hat geschrieben:Aber dieses Gameplay....Extrem schwache Kämpfe, vor allem stupide leicht, weil es kaum taktische Tiefe gab. Es war mit eines der schwächsten Spiele die ich seit langem gespielt habe. Da bei mir Inhalt und Gameplay gleichermaßen wichtig sind, warte ich beim 2. Teil mal ein paar Let's Plays ab.
    Banner Saga mit dem Gameplay eines XCOM würde einem perfekten Spiel wirklich mal was näher kommen.
    Mir haben die Kämpfe in Banner Saga übrigens besser gefallen als in Xcom. Banner Saga war sicherlich abgespeckter, weniger kompliziert und konzentrierte sich auf das wesentliche. Trotzdem hatten die Kämpfe sehr viel Tiefe. Schach ist auch nicht "flacher" als Xcom weil es weniger kompliziert ist. Die Komplexität kommt durch andere Sachen. Easy to learn, hard to master...
    Ich kam bei XCOM leider selten ins grübeln, da ich intuitiv wusste, was ich auch nach reichlicher Überlegung für die beste Lösung gehalten habe. Bei Banner Saga habe ich mir tatsächlich am Anfang einen Plan überlegt und immer wieder darauf geschaut, auf welchen Gegner ich mich am besten konzentrieren sollte, weil er durch seine hohen Leben auch ein hohes Schadenspotenzial hat und z.b. als nächstes ziehen darf...etc.
    Man kann sicherlich einige Dinge an Banner Saga kritisieren (flache Charakterentwicklung; wenige Konsequenzen bei Hunger..etc), wer das Kampfsystem für flach hält, hat es wahrscheinlich auf easy gespielt.

  5. Wäre schön, wenn ich das in dem Posting lesen könnte, aber ich sehs immer noch net. Sie haben vor Release ein Spiel namens Banner Saga: Factions rausgebracht, was bei Steam "Mostly positive" angenommen wird und NUR aus genau diesem Gameplay besteht. Das ist natürlich ein gutes Stück tiefer, da hier zwei Spieler mit Teams gegeneinander antreten, aber der Kern ist derselbe.
    Ich mag das Kampfsystem von Jean d'Arc z.B. auch net, ich finds augenscheinlich sehr flach, aber vllt irre ich mich auch. Wär doch absurd zu verlangen, dass sie aus dem TRPG dann plötzlich ne Visual Novel machen, nur weil Entscheidungen die zweite Kernkomponente neben der Story ausmachen (tun sie in dem Spiel afaik net, aber rein beispielhaft).

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