Zugegeben: Ich musste mich in Details des Regelwerkes erst einlesen. Dabei schaue ich mir sogar gerne Rugby-Spiele (vor allem die Rugby Union Aviva Premiership in England) an. Hinsichtlich der Taktik ist American Football zwar ausgefeilter. Doch an Dynamik und Intensität sind die Matches der ohne Schutzpolster auskommenden 15 Mann starken Teams kaum zu überbieten und schlagen meiner Meinung nach sogar die Footballer.
Und während die Fans von Quarterbacks und Touchdowns alljährlich mit Madden NFL versorgt werden, schauen Rugby-Anhänger seit einigen Jahren in die Röhre – das letzte ernst zu nehmende Rugby-Spiel erschien 2008 (Rugby League 2 World Cup Edition). Auch Electronic Arts hat 2007 nach einigen Jahren die von den HB Studios entwickelte Serie eingestampft. Der Grund ist im Nachhinein schwer festzustellen. An der Fanbasis dürfte es nicht liegen: Denn vor allem im Commonwealth ist die ruppige Jagd nach dem Ei enorm beliebt. Oder lag es vielleicht doch an der Qualität der Spiele? Ausgehend von Rugby World Cup 2011 (RWC) bin ich geneigt, an diese These zu glauben. Denn obwohl abermals HB Studios verantwortlich zeichnet und das Team in den letzten Jahren mit u.a. den Wii-Umsetzungen der FIFA-Serie oder jüngst der Fuchtelvariante von Madden weitere Erfolge verbuchen konnte, hakt es hier an allen Ecken und Enden. Atmosphäre geht gegen Null
Das beginnt bei der staubtrockenen Benutzerführung, bei der sogar auf Tutorials verzichtet wird, wasN eugierigen den Einstieg unnötig erschwert. Das geht weiter bei den Kommentatoren-Teams, die zwar z.T. vom britischen Sender Sky Sports kommen, aber deren Analysen nicht immer zutreffen und deren Kernaussagen sich bereits nach wenigen Partien wiederholen. Doch ein Fauxpas, den sich RWC leistet, ist die uneinheitliche Lizenzierung. Man hat das Logo der WM und den Ablauf der Veranstaltung sowie einige Teams, andere wiederum bestehen jedoch aus Fantasie-Spielern. Und das schlimmste: Es kommt überhaupt kein WM-Feeling auf. Wo EA mit dem offiziellen Spiel zur Fußball-WM in Südafrika ein Stimmungs-Feuerwerk abfackelte, passiert hier gar nichts.
Auf groß angelegte Einmärsche wird verzichtet, stattdessen gibt es zur Einstimmung Szenen vom Aufwärmen der Teams oder Unterhaltungen zwischen den Spielern – natürlich standardisiert und für alle Mannschaften ähnlich. Wer z.B. auf eine Umsetzung des mittlerweile zum Kult gewordene “Haka” der Gast gebenden “All Blacks” aus Neuseeland hofft, wird enttäuscht.
In der Totalen hinterlässt das prall gefüllte Stadion einen guten Eindruck – im Detail sieht das anders aus…
Auch das Umfeld bleibt im Vergleich zu anderen Sportspielen zurückhaltend: Das gleichförmig gestaltete Publikum geht nur selten aus sich heraus und die schrillen, in der Realität eindeutig zu identifizierenden Pfeifen der Schiedsrichter sind nicht markant genug, um sich ins Gehör zu trillern.
Unterhaltsames Gedränge
Doch Umfeld hin, Präsentation her: Auch wenn die Mankos in diesen Bereichen bedauerlich sind, zählt letztlich nur, was auf dem Platz passiert. Und das zeigt Potenzial. Denn RWC schafft es, das gleichermaßen dynamische wie brachiale Hin und Her zu replizieren, das den Sport kennzeichnet. Es wird um jeden Zentimeter auf dem Platz gekämpft, wenn man versucht, durch Tragen, Passen nach hinten oder Kicken quasi in die Endzone des Gegners zu kommen oder aus dem Spiel heraus einen Kick durch die Torstangen zu bringen.
Das Problem: Wenn die KI nur halbwegs gute Routinen aufweisen und einen tatsächlich mal fordern würde, wäre die Intensität ungleich höher. Doch in den Verteidigungslinien tun sich immer wieder und vor allem immer wieder an den gleichen Stellen Lücken auf, die man schamlos ausnutzen kann. So lassen sich Verteidiger schnell und mit 99%iger Sicherheit durch eine kurze Drehung aus dem Konzept bringen. Es war auch ab und an zu beobachten, wie der Ballträger nahezu die gesamte Verteidigungslinie entlang laufen konnte, ohne dass auch nur ein Versuch unternommen wurde, ihn zu tackeln. Und wenn man dann schließlich durch die Lücke gestoßen ist, läuft beinahe das gesamte verteidigende Team wie an der Schnur gezogen hinter einem her – bis auf den Fullback natürlich, der einen letzten verzweifelten Versuch unternimmt, einen aufzuhalten. Nutzt man hier den Diagonallauf oder den bereits angesprochenen kurzen Wechsel der Bewegungsrichtung, ist aber auch er fast immer machtlos.
Auf den höheren Schwierigkeitsgraden sowie in den K.O.-Runden des Turniers ist die KI ein stärkerer Gegner. Das wird allerdings dadurch begünstigt, dass sie beinahe wie gedopt auf einen zugesprungen kommt, um ein Tackling zu setzen und dass sie Pässe besser antizipiert und tatsächlich die Räume zustellt. Dennoch bleiben die KI-Routinen ein Manko eines ansonsten viel versprechenden und mit Potenzial ausgestatteten Spielerlebnisses. Zumal die Steuerung weitgehend gelungen ist und man sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung alle wesentlichen Aktionen schnell und unproblematisch erreicht. Mitunter ist allerdings nicht nachvollziehbar, wieso man beim Knopfgehämmer, das vor einem Gedränge (engl.: Ruck) abverlangt wird, den Kürzeren zieht, obwohl die “Einsatzlinie”! des Teams stärker ist als die der Gegner.
Spartanischer Umfang
Die Tacklings sind mitunter ansehnlich. Der Rest der Präsentation bleibt unweltmeisterlich spröde.
Dass das Spiel unbedingt zum derzeit stattfindenden Großereignis in Neuseeland fertig gestellt werden muss, kann man aber nicht nur an den fehlenden KI-Routinen oder der im Bestfall durchschnittlichen Kulisse erkennen, bei der weder Spielermodelle noch Animationen hervorstechen.
Auch die Modi-Auswahl macht die “Jetzt-oder-Nie”-Mentalität deutlich. Neben dem WM-Modus, bei dem immerhin alle 20 Mannschaften auch von menschlichen Spielern übernommen werden und bis zu vier Teilnehmer pro Match eingreifen können, warten nur noch rudimentäre Möglichkeiten auf Rugby-Fans. Man kann Testspiele mit allen integrierten Teams bestreiten, eine Aufwärmtour gegen WM-Teilnehmer starten oder einen Placekick-Shootout durchführen – allesamt eher ernüchternde Erlebnisse, die das Spielerelebnis nicht aufwerten.
Selbst der Online-Modus tut nicht mehr als das Nötigste: Können sich offline immerhin noch bis zu vier Spieler ins Getümmel stürzen, bleiben die Internet-Duelle auf zwei Teilnehmer beschränkt. Doch das alleine kann nicht der Grund sein, das man kaum Spieler findet, um seine Rugby-Fähigkeiten unter Beweis stellen zu können.