Proteus(Adventure) von Credit: Ed Key, David Kanaga /

Die Kunst hinzuschauen

Proteus nimmt sich Zeit. Es ist eine geheimnisvolle Komposition aus Ton und Bild. Eine, die man wie ein Gemälde erschließen muss . Ein Gemälde der Künstler Ed Key und David Kanaga in eckigen 8Bit. Seine Schönheit liegt allein im Auge des Betrachters.

 

Wem sich schon jetzt der Magen umdreht, der muss Proteus meiden. Wer sich in Dear Esther gelangweilt hat und die Faszination Journey nicht greifen konnte, der sollte auch um dieses Kunstwerk einen Bogen machen.

Richtig ist, wer sich darauf einlassen will, Schneeflocken nachzuschauen. Wer es genießt, skurrile Statuen auf dem Gipfel eines Berges zu entdecken. Und darin einen Sinn zu sehen.

Pixel statt Pinsel

Meine Reise beginnt im Frühjahr, wenn rosafarbene Blüten aus dicken Wipfeln auf saftige Wiesen herab schweben. Sind es wirklich Blüten? Ein wenig Fantasie brauche ich schon, denn es gibt auf der gesamten Insel keinen einzigen Pinselstrich. Sie besteht aus dicken Kästchen, als wäre sie einer Zeit entsprungen, zu der zweidimensionale Pappaufsteller und piepsende Laute den Begriff “virtuelle Welt” definierten – bezaubernder Impressionismus, mit Pixeln statt Pinseln gezeichnet.

Mit Fantasie deute ich kleine Wesen als Frösche oder Kröten, weil sie davon hopsen, wenn ich auf sie zu laufe. Helle Pünktchen, die bei Nacht geheimnisvoll leuchten, könnten

Pixel statt Pinsel: Proteus erschafft aus kleinen Quadraten eine malerische Welt.
Pixel statt Pinsel: Proteus erschafft aus kleinen Quadraten eine malerische Welt. © 4P/Screenshot

Glühwürmchen sein. Manchmal verschwindet eine Gruppe kleiner Tiere im Erdboden, sobald ich ihnen nahe komme. Oder sind es Pflanzen? Proteus ist ein Bild, das sich dem erschließt, der sich bewusst hineindenkt.

Das Orchester lebt


Proteus ist auch Musik. Musik nicht im Sinne eines gleichförmigen Soundtracks, sondern als Zusammenspiel digitalen Rauschens, Klimperns, Klackens und Surrens, das meine Reise begleitet. Manchmal höre ich den Regen prasseln, manchmal löse ich selbst ein Brummen aus, wenn ich einen seltsam geformten Stein passiere. Manchmal höre ich auf einem schneebedeckten Wipfel nur einsam den leisen Wind. Die Insel bewegt sich, sie lebt, sie reagiert, sie komponiert ihre eigene, meine eigene Melodie.

Leben ist Veränderung

Und sie verändert sich. Denn so lange ich auch neugierig umher streifen darf: Schon in der ersten Nacht sammeln sich “Glühwürmchen” in einem Kreis krummer Steine. Sie warten

Nachts wirkt die Insel nicht nur geheimnisvoller - es öffnet sich auch ein Tor durch die Zeit.
Nachts wirkt die Insel nicht nur geheimnisvoller – es öffnet sich auch ein Tor durch die Zeit. © 4P/Screenshot

auf mich. Sie lassen mich nicht mehr los, sobald ich in ihre Mitte trete. Dann ziehen Tag und Nacht plötzlich im Zeitraffer voran. Dicke Regenwolken rauschen binnen Sekunden vorbei…

Und dann ist Sommer. Die Sonne brennt, Bienen tragen mich eine Zeitlang im Eiltempo über die Insel. Tausend Kleinigkeiten haben sich verändert. Wieder sehe ich mich um, erforsche, entdecke und finde den leuchtenden Kreis…

Im Herbst verblüht das Leben. Schmetterlinge klappen erschöpft und auf dem Boden mit den Flügeln. Die Nacht vor dem Winter ist leiser und geheimnisvoller…

Und dann liegt dichter Nebel über stillen, verdorrten Ästen…

 

  1. Ich hoffe dieser hochstilisierte Dilettantismus ("8-Bit Hommage") verschwindet schnell wieder von der Bildfläche. 8-Bit war cool als es state-of-the-art und Ausdruck des Zeitgeists war. Heutzutage ist es nur eine Entschuldigung für jämmerlich produzierte Software.

  2. So ich hab es auch mal ausprobiert.
    Ich finde es hübsch und nett gemacht.
    Aber: Proteus ist kein Spiel
    Digitale Kunst ja. Es ist nett und hübsch. Es hat Aussagen.
    Beispiel: Ich lade meine Freunde zu einem Brettspiel-Abend ein. Dann lege ich das Mona Lisa-Gemälde auf dem Tisch und wir schauen sie uns an. Sonst nichts. Das nach meinem Verständnis kein Spiel.
    Ich finde Proteus ist eine tolle Idee. Muss Kunst immer nur buchstäblich in Stein gemeißelt oder auf eine (reale oder digitale) Leinwand gebannt werden? Es gibt ja auch reale Kunstprojekte das Besucher schrittweise beim Laufen entdecken und erfahren. Ich finde die Idee, das auch digital zu machen wunderbar.

  3. ChriZ_d3luXe hat geschrieben:
    JuJuManiac hat geschrieben:Versucht das doch einfach auch mal bei Far Cry 3 und solchen Titel. Einfach mal über die wunderschönen Inseln ziehen, inne halten und genießen. Da gibt es auch Vegetation, da gibt es auch Tierleben, da gibt es auch Reaktion auf die Anwesenheit der Spielfigur.
    Ah wie hier z. B. http://www.youtube.com/watch?v=22Hw1D0AQ3E. Ich wusste bis heute nicht, dass man so viel Spaß mit dem sonst so langweiligen Far Cry 3 haben kann. :D
    Genial :lol:
    Und die typischen Youtube-Kommentare erst:
    Sure you can hunt a tiger...but can you hunt one...with a Mustache?

  4. Sharkie hat geschrieben:Dieser Blick über den Tellerrand scheint hier vielen sichtlich schwer zu fallen. Wie auch immer, was die Herren Schmädig, Luibl & co. mit ihren Artikeln leisten, ist in meinen Augen nicht die lächerliche, beliebige Indie-Hype-erei, als die es hier gerne denunziert wird. Diese Redakteure sind vielmehr mutig genug, eine lange überfällige Revision des Verstädnisses von Spielekritik konsequent durchzuführen. Das bedeutet dann in der Praxis: Freudige Annahme der hochsubjektiven Perspektive statt krampfhaftes Festhalten an einem sowieso unerreichbaren Ideal von Objektivität. Ernsthafte Kritik statt Stiftung Warentest. Diskurs statt Bewertung (ja, meinetwegen könnte man die Bewertungsskala gerne ganz verabschieden).
    das ist imo nicht die ganze wahrheit, bzw mich stört der begriff "konsequent". denn konsequenz schießt auch gerne mal über das ziel hinaus, konsequenz mutiert auch mal zu sturheit. auch der verweis auf tests aus dem jahre 1990 kann man so nicht als vergleich heranziehen.
    die ganzen innovativen spiele sind zumeist weniger neu, als sie auf den ersten blick scheinen und bereits in der frühzeit des spiele-journalismus gab es diverse versuche, darauf passend zu reagieren. die power play neigte dazu, wertungen bei titeln zu unterlassen, die ihrer sicht nach "zu wenig spiel sind", andere versuchten das mit begriffs-kennzeichnungen wie "empfehlenswert", wieder andere legten goßen wert darauf, dass wertungen grundsätzlich nur genre-bezogen vergleichbar seien und es gab entsprechend unterschiede im wertungskasten. das ist - nebenbei bemerkt - ein punkt, den 4players konsequent ignoriert.
    im falle von proteus scheint mir der bericht wirklich angemessen. tja - bis auf das thema wertung.
    mir käme es nie in den sinn, faktoren wie faszination zu wichten. wenn man ein dear esther nimmt, welches das spiel auf die reine form der atmosphäre reduziert, wie kann man das nur als zahl ausdrücken? oder vielmehr in eine standartisierte form bringen, dass...

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