Funktion statt Leben

Und trotzdem bin ich mit Neo Cab nicht wirklich warm geworden. So gut vieles auf dem Papier nämlich aussieht, so schlecht finde ich viele Unterhaltungen geschrieben. Das betrifft nicht einmal die Texte an sich, aber die Art und Weise, mit der Informationen über Schauplatz und Ereignisse vorgebetet werden, anstatt in Gespräche über ganz andere Themen eingebettet zu sein. Gerade das ist VA-11 HALL-A und auch dem thematisch ähnlichen Eliza wesentlich überzeugender gelungen. Dagegen wirken hier viele Gespräche wie Frontalunterricht. Glaubhafte Charaktere, die hauptsächlich außerhalb ihrer Funktion existieren, erschafft Chance Agency jedenfalls nicht.

Dazu empfinde ich auch die zentrale Handlung um Linas Freundin als aufgesetzt. Die beiden begrüßen sich nicht einmal, als sie sich nach etlichen Monaten endlich wiedersehen, und die spätere Suche nach Savy ergibt selbst im funktionalen Rahmen eines Videospiels so wenig Sinn, dass ich die Erzählung im Grunde nicht ernst nehmen konnte. Man findet doch keine Spuren, indem man fast ausschließlich Passiere durch eine große Stadt kutschiert!

Wenn die Gefühle im Weg stehen

Hinzu kommen recht viele Multiple-Choice-Situationen, in denen ich keine einzige Dialogoption als passend empfand. Wie soll Lina z.B. eine Faktenfrage zu einer Sachlage beantworten, von der sie partout keine Ahnung hat. Würde wenigstens ein Schulterzucken zur Verfügung stehen, aber genau solche alternativen Pfade fehlen auffallend oft.

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Liegt der Wertungsdurchschnitt unter 5.0, darf man nicht alle Aufträge annehmen. Die Lizenz verliert man allerdings nicht. © 4P/Screenshot

Abgesehen davon wird sie so stark von ihren Emotionen geleitet, dass ihr manche angezeigte Antwort gar nicht zur Verfügung steht. Ist sie sehr aufgebracht, kann sie einem Passagier etwa nicht Recht geben – grundsätzlich eine gute Idee! Für mich hat dieser Einblick in ihren Charakter jedoch nur mit Einschränkung funktioniert, da es sich nicht wie in einem Rollenspiel um unterschiedlich weit entwickelte Fähigkeiten handelt, die man relativ neutral wahrnimmt, sondern um Emotionen, in die man sich auch selbst hineinversetzen soll bzw. will.

Zumindest wird Linas Gefühlslage sogar visualisiert; mit einer Anzeige der Stimmung, in der sie sich befindet. Vier Ausprägungen in unterschiedlicher Stärke und Relation zueinander bestimmen dabei ihren Zustand und könnte man diese weit genug beeinflussen, um variable Antwortmöglichkeiten zu erspielen, hätte das System durchaus seinen Reiz – genau das ist während der Unterhaltungen auf vorhersehbare Art aber kaum möglich. Dass sich die Wahl des Hotels auf Linas Stimmung auswirkt und sie ausgerechnet in Unterkünften jenes Konzerns gut schläft, der menschliche Taxifahrer abschaffen will, ist natürlich clever. Alles in allem wirkt das System aber eher einschränkend, als dass es einen inhaltlichen oder erzählerischen Nutzen hat. Den zieht man eher aus Linas Gedanken, die in manchen Situationen nicht nur ihre Gemütslage beschreiben, sondern aus denen sich oft auch Dialogoptionen ergeben.
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