Tanooki x Igel

Nach seinem grafisch spektakulären Mega-Drive-Debüt (1991) war Sonic der hüpfende Hans Dampf in allen Gassen: Nachfolger, Nachnachfolger, mehrere Handheld-Ableger, Genre-fremde Spin-offs, Arcade-Game, Zeichentrick-Serie und ein Tonne Merchandise Artikel. Der freche, dynamische Turbo-Igel war Segas Trumpf im 16-Bit-Wettlauf mit Nintendo und strahlte über die Videospielbranche hinaus. Doch schon ab Ende 1996 ging es – im Anschluss an den kreativ gesplitteten dritten Teil (Sonic the Hedgehog 3 und Sonic & Knuckles) und das späte Mega-Drive-Spiel Sonic 3D: Flickies‘ Island (vom späteren Lego-Studio Traveller’s Tales) durch ein tiefes Tal der Tränen: Auf Segas erster echter Polygon-Konsole, dem Saturn, wollte der Igel nicht in Tritt kommen – die vielen wartenden Igel-Fans wurden mit der Compilation Sonic Jam und dem Pseudo-Rennspiel Sonic R abgespeist. Während auf PSone und Nintendo 64 alte und neue Helden fulminante Abenteuer in grobschlächtigem, unscharfem, flimmerigen aber damals unheimlich anziehendem 3D erlebten, wurde das in den USA entwickelte Saturn-Problemprojekt Sonic X-treme letztlich eingestampft.

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Tolle Weitsicht, einladende Level-Konstruktionen – Lunistice macht Lust. © 4P/Screenshot

Und hier kommt Lunistice ins Spiel: Das Hüpfspiel hat rein von der Marke her überhaupt nichts mit Sonic am Hut – aber vom Momentum über die Level-Umgebungen bis hin zu manch flotter Grinding-Passage wäre dieser 3D-Plattformer einfach ein formidables 32-Bit-Sonic gewesen. Das bringt mich schon zu einem zentralen Punkt: dem Retro-Look. Statt der viel zu oft bemühten Pixel gibt’s hier grobe Polygone wie zu seligen PSone- oder Saturn-Zeiten auf die Augen. Aber eben mit einer supersoften Kamera-Bewegung, perfekten 60 fps und einer Sichtweite bis zum Horizont. Zu verdanken haben wir Lunistice dem Deutschen Dennis „A Grumpy Fox“ Kröner, ehemals beim Spieleportal Gameswelt angestellt und aktuell Produktmanager bei Deck13 Interactive – bis auf den Soundtrack stammt so ziemlich alles im Spiel von ihm. Nach einem 30-tägigen Game-Jam im letzten Jahr beschloss er, das seit Jahren in seinem Hinterkopf herumschwirrende Projekt als 3D-Plattformer und nicht, wie ursprünglich geplant, als 2D-Hüpfer umzusetzen.

Jump’n‘Speedrun


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Hana haut zu: Standard-Feinde werden mit einem Schlag des Tanuki-Schweifs locker weggefegt – und am Bildschirmrand wird es bunt und wild. © 4P/Screenshot

Lunistice ist zwar nur sieben mal zwei Levels lang und wird von Jump’n’Run-Profis an einem Abend weggesnackt, doch die enthaltenen Stages sind eine wahre Freude für jeden, dem das punktgenaue Behopsen von Plattformen ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Kröner hat mit wild platzierten Brücken, schwebenden Inseln und regenbogenbunten Wegen ein Wolkenkuckucksheim gebaut, das einfach nur einen Zweck hat: ein spaßiges Jump’n’Run-Level sein. Egal ob Weltall-Parcour zum Mond, Kuchenland oder herbstlicher Pilzwald, es macht stets Laune mit Doppel- und Dreifachsprung (und zuschaltbarem Schatten) von einer Plattform zur nächsten zur springen, eine Looping-Ranke zu grinden oder per Schwanzschlag ein paar Feinde wegzufegen – Heldin Hana ist nämlich, wie der verwandelte Mario, ein Tanuki, der seine Widersacher per Drehschlag mit dem Schwanz verkloppt. Bosskämpfe spart sich das Spiel, dafür gibt es sammelbare und an besonders kniffligen Orten verborgene Buchstaben (H-A-N-A) und viele Highspeed-Passagen mit weiten Sprüngen. Obendrein variiert das Spiel ein paar Elemente geschickt: Mal muss man sich mit im Rhythmus auftauchenden und verschwindenden Plattformen herumschlagen, mal schwindelerregende Rails erreichen oder sich von Geysiren in die Höhe schießen lassen.

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Da lacht das Herz passionierter Hüpfspieler – beim Anblick solcher Areale will man sofort losspielen. © 4P/Screenshot

Komplett neu oder überragend kreativ ist dabei keines der Elemente – angesichts der geschmeidigen Bewegungen und des generell sehr angenehmen Lauf- und Sprunggefühls ist dies aber nur ein kleiner Makel. Schwerer wiegt da schon die Kürze des Vergnügens – gerne hätte ich zwei- oder dreimal so viele Stages gemeistert und noch ein paar andere Standardfeinde gesehen. Lunistice kostet übrigens nur 5 Euro, das fließt freilich nicht in unsere Bewertung ein, könnte euch aber die Kaufentscheidung erleichtern. Im Zielbereich jeder Stage wartet eine Abrechnung, wo die Zahl der eingesammelten Papier-Kraniche und die erlittenen Tode mit einer Note bewertet werden. Obendrein stehen nach dem Durchspielen zwei weitere Figuren zur Verfügung: Küken Toree stirbt beim ersten Treffer, kann aber superschnell laufen, Vogeldame Toukie attackiert so flink wie ein Ninja und kann einen Dreifach-Flattersprung ausführen. Beide Zusatzfiguren sind verschieden genug, dass nimmersatte Plattform-Freunde gerne einen zweiten oder dritten Anlauf wagen; trotzdem hätte ich es besser gefunden, wenn für beide gleich die späteren Abschnitte offen gewesen wären.

  1. Grenobel hat geschrieben: 17.11.2022 20:13 Aufm PC wird man den Filter wohl bald Auschalten können. Ansonsten ist das halt ein Spiel das 5 Euro kostet und sogar ne Demo hat. Da kann man auch einfach mal reinschauen ohne Grundsatzdiskussionen zu führen.
    Da hast Du wohl recht, ich finde die Leistung des Programmierer bemerkenswert und habe es eben gekauft. Mal schauen wie es sich auf dem Steamdeck schlägt.

  2. Aufm PC wird man den Filter wohl bald Auschalten können. Ansonsten ist das halt ein Spiel das 5 Euro kostet und sogar ne Demo hat. Da kann man auch einfach mal reinschauen ohne Grundsatzdiskussionen zu führen.

  3. nix gegen Artstyle, Pixelgrafik, retro, whatever.
    Aber das Kantengeflimmer fand ich damals schon Kopfweh erregend bis zum Kotzen.
    Und DAS brauche ich nun wirklich nicht 2022.
    Wenns als optionaler Filter angeboten würde und ansonsten (gerne mit reduzierten Texturen und Polygonen) flimmerfrei laufen würde => insta Kauf.
    Aber so: :Spuckrechts:

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