Frischer Wind in der Heimat

Nein, keine Sorge. Obwohl mit DeckNine ein neuer Entwickler übernommen hat, damit DontNod Life is Strange 2 fertigstellen können, hat sich nichts an der Aufmachung des Adventures verändert. Man wird immer noch an die selben Orte des Fischer-Dörfchens geführt und lauscht dabei Indie-Rock-Klängen. Das fühlt sich keineswegs langweilig an, sondern eher, als ob man nach Hause kommt. Getragen wurde Life is Strange schon immer von seiner emotionalen Geschichte rund um Freundschaft, Verantwortung und Bedrohung. Und die weiß erneut zu überzeugen.

Die verflixten Teeniejahre


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Das Leben als Teenager kann manchmal unheimlich schwer sein. © 4P/Screenshot

Vielleicht hat Life is Strange: Before the Storm einen unfairen Vorteil, denn hätte man ein Spiel über meine Jugendjahre machen wollen, hätte es fast so ausgesehen wie diese erste Episode: Alternative Mode, Rockkonzerte, Menschenhass, zu viele Zigaretten und eine beste Freundin, die das Leben im Dorf etwas erträglicher macht. Auch wenn viele Momente auf mich intensiver wirken, glaube ich dennoch, dass die vielen Details und liebevollen Dialoge auch diejenigen erreichen, deren Jugendjahre etwas weniger Rock’n’Schmoll waren.

 
Chloes traurige Welt

Bereits im Vorgänger wurde deutlich, dass Chloes Leben kein Zuckerschlecken ist und auch in Before the Storm gibt es erneut Krach mit Stiefvater David und ihrer Mutter, die Chloe ermahnt, früher nach Hause zukommen und nicht die Schule zu schwänzen – der übliche Elternmist eben. Doch diesmal fehlt Max, die sich kaum noch meldet, seitdem sie nach Seattle gezogen ist. Da Chloe keine Freunde hat, schreibt sie ihr Briefe, die sie jedoch nie abschickt. Diese lösen das Tagebuch aus Life is Strange ab. Trifft man neue Menschen und durchlebt Momente, kommen neue Briefe hinzu, die verdeutlichen, wie sich Chloe abseits ihrer harten Schale als rebellisches Rock-Mädchen wirklich fühlt. Dieses Sammelsurium aus Briefen, gefundenen
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Chloes Briefe lassen tief in die Gefühlswelt der rebellischen Teenagerin blicken. © 4P/Screenshot
Gegenständen und Informationen zu Personen ist erneut fantastisch gelungen und man sollte sich die Zeit nehmen, immer wieder darin zu stöbern.

Diesmal kein Spiel mit der Zeit

Das essentielle Spielelement des Zeitzurückspulens fehlt diesmal komplett, da Max keine aktive Rolle spielt. Somit gibt es auch kaum noch Rätsel, die ich immer wieder vermisst habe. Dennoch haben sich die Entwickler etwas einfallen lassen, um Chloes Charakter auch spielerisch zu verstärken. In sogenannten “Widerworte-Herausforderungen” steht sie ihre Frau und bietet zum Beispiel einem Türsteher Parole, um zu Beginn der Episode in einen Rockclub zu gelangen, oder David die Stirn zu bieten, der sie auf dem Weg zur Schule maßregeln will. Um diese zu gewinnen, muss man genau auf die Aussagen seines Gegenübers achten, um dann möglichst überlegen zu antworten. Diese Spielmechanik passt wunderbar zur frechen Protagonistin. Trotzdem hat man oft die Möglichkeit, die zahme Tour zu fahren, sich zu entschuldigen, oder einfach brav zuzuhören. Die zahlreichen Situationen, in denen man sich entscheiden muss, sind interessant gewählt: Geht man dazwischen, während der Football-Star der Schule die Hausaufgaben von Schnösel Nathan Prescott zerstören will? Da ich ja seit Life is
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Die “Widerrede-Herausforderungen” passen gut zu Chloes Charakter. © 4P/Screenshot
Strange weiß, was für ein mieser Typ Nathan ist, entschied ich mich dafür, ihn nicht zu retten und musste ganz schön schlucken, als mir am Ende des Spiels angezeigt wurde, dass nur 3% der Spieler sich so entschieden haben wie ich. Richtig cool war die Möglichkeit einer Pen&Paper-Runde der Nerds beizuwohnen, die ich durch meine Antworten aktiv beeinflussen konnte. Hier stellt sich die Frage, ob die gewonnen Sympathien Auswirkungen auf die späteren Folgen haben werden.

Kann Rachel Max das Wasser reichen?

Neben Einblicken in Chloes hektisches Leben, steht vor allem die in Life is Strange verschollene Rachel Amber im Vordergrund. Die erste Episode von Before the Storm zeigt die zarten Anfänge ihrer Freundschaft. Außerdem kann man die Dialogoption “mehr als Freundschaft” wählen. Da Homosexualität anderer Charaktere öfters thematisiert wird, bleibt auch hier die Frage offen, ob die beiden in den nächsten Folgen vielleicht eine Beziehung führen. Ich muss jedenfalls zugeben, dass mir Rachel um einiges sympathischer war als Max: Sie ist aufmüpfig, spontan und selbstbewusst – quasi das Gegenteil der ersten Protagonistin. So macht es unheimlich viel Spaß, Zeit mit den beiden zu verbringen, ob beim ekstatischen Tanzen im Rockerschuppen, beim gemeinsamen Musikhören im Transporterzug, oder beim Stehlen von Wein. Die Chemie der beiden scheint perfekt zu stimmen und dabei haben sie bisher nur zwei Tage miteinander verbracht.

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In der ersten Episode freunden sich Chloe und Rachel an und die Chemie passt perfekt. © 4P/Screenshot
Die tiefgründige und ruhige Art von Max passte sehr gut zu den wichtigen Entscheidungen, die sie durch ihre Fähigkeiten immer wieder treffen musste. Es scheint, als würde Before the Storm zumindest in der ersten Episode die Probleme von normalen Teenager in den Fokus rücken. Überhaupt hat man das Gefühl, dass die Entwickler diesmal eine viel ruhigere Erzählweise wählen wollten. Sehr passend ist da, dass man erneut selbst entscheiden kann, wann man ein Szenario per Knopfdruck verlassen will. So kann man verträumt auf einer Bank sitzen, dem Rockkonzert lauschen, oder das prasselnde Lagerfeuer beobachten. Auch hat man sich von den aufgesetzt coolen Sprüchen verabschiedet und die Gespräche wirken alle sehr natürlich. Es ist eine schöne Abwechslung, dass man nicht mehr die Welt retten muss, sondern Leuten auch einfach mal nur den Stinkefinger entgegenstreckt.