Beim Schaden an den nicht lizenzierten, aber keinen Zweifel hinsichtlich des Originals aufkommen lassenden Boliden ist dies ebenfalls spürbar. Waren die Karren bislang eher zu schnell schrottreif und explodierten einem unvermutet unter dem Hintern, vertragen sie mittlerweile so viel, dass ein etwaiges Spannungselement in den Gassen oder auf den Straßen und Highways zu kurz kommt. Mit den teils minutiös geplanten Raubüberfällen kommt aber ein neuer Faktor in den GTA- Missionsmix.

Die zu planenden Raubzüge sind eines der wenigen neuen Elemente in der GTA-Welt.
Die zu planenden Raubzüge sind eines der wenigen neuen Elemente in der GTA-Welt. © 4P/Screenshot

Hier muss man nicht nur die Entscheidung treffen, ob man z.B. mit Gewalt oder subtiler vorgeht. Je nachdem gibt es andere Vorkehrungen, die man treffen muss – wobei sich diese allerdings hinsichtlich der Ziele ähneln. Beim einen Weg muss man sich z.B. Waffen besorgen, beim anderen Betäubungsgas. Doch auch wenn Entscheidung, Ursache und Wirkung sich nicht so stark unterscheiden, wie ich es mir wünschen würde, und die Auflösung der Mission unter dem Strich sehr linear von statten geht, sorgen diese Sondermissionen für ein frisches Spielgefühl, das in diesem GTA immer wieder zu kurz kommt.

Zu gleichförmig

Zumal Rockstar eine große Chance ungenutzt verstreichen lässt, für spielmechanische Abwechslung zu sorgen, obwohl es doch so nahe liegt: Die Hauptfiguren verfügen über Eigenschaften, die sich über “Benutzung” aufrüsten lassen. Wer viel läuft und sprintet, kann seine Ausdauer steigern. Sauberes Lenken eines Fahrzeugs sorgt für einen Anstieg der Fahrwerte usw. Das klingt in der Theorie gut. Doch in der Praxis spielen sich die Figuren sehr ähnlich – trotz einer exklusiven Spezialfähigkeit wie beispielsweise Franklins “Zeitlupen-Fahren”, das es in Extremsituationen leichter macht, enge Kurven zu nehmen und so den Verfolgern ein Schnippchen zu schlagen. Aber letztlich kann man auch mit Trevor oder Michael problemlos entkommen. Obwohl Michael die besten Waffennutzungs-Werte (und eine Bullet Time à la Max Payne) hat, spielen sich Trevor und Franklin in Feuergefechten nahezu identisch.

Franklin unterscheidet sich charakerterlich zwar komplett von seinen Kumpanen, spielt sich aber recht ähnlich.
Franklin unterscheidet sich charakterlich zwar komplett von seinen Kumpanen, spielt sich aber recht ähnlich. © 4P/Screenshot

Das wird spätestens dann deutlich, wenn man mit jedem einmal in einer Sniper-Mission unterwegs war. Franklin als blutiger Anfänger ist genauso effektiv wie die anderen beiden – es gibt kein erhöhtes Verreißen, kein größeres Zittern in der höchsten Zoom-Stufe des Zielfernrohres. So interessant und unterschiedlich die Figuren aus erzählerischer Sicht inszeniert werden, so gleichförmig werden sie über den spielmechanischen Kamm geschoren – sehr schade!

Wie radikal ist zu radikal?

Es wird gevögelt. Es gibt nackte Brüste. Schädel werden schonungslos zertreten. Es wird geflucht: “Fuck this!” “You stupid cunt!” “You’re such a dick!” – und das sind noch die harmloseren Äußerungen. Es wird gefoltert, aktiv bis hin zum Waterboarding, das mir situativ gewaltig an die Nieren ging. Weshalb ich gerade in diesen Situationen, die ich vielleicht gerne abgelehnt hätte, die Freiheit der eigenen Entscheidung vermisse. Hier hätte man auch die drei unterschiedlichen Charaktere besser spielen können, wenn man die Wahl gehabt hätte. Jedenfalls ist all das, worüber sich das ach so prüde Amerika in San Andreas noch aufregte, abgestandener kalter Kaffee – spätestens wenn Trevor blank zieht. Doch seien wir mal ehrlich: Gegen das, was im amerikanischen Fernsehen in den letzten Jahren in Serien wie The Sopranos (Michael, seine Familie und sein Psychiater sind deutlich von Tony inspiriert), Breaking Bad, Shameless, Game of Thrones, Deadwood, True Blood, Walking Dead usw. gezeigt wird, ist das, was man hier zu sehen bekommt, ebenfalls abgestandene Koffeinbrühe. Für die Spielewelt begrüße ich diese Entwicklung jedoch. Natürlich wirkt es manchmal dick aufgetragen, gelegentlich unbeholfen und dann wiederum überflüssig. Doch es wurde verdammt noch mal Zeit, dass auch interaktive Unterhaltung diese Themen anpackt, sie schonungslos auf den Bildschirm bringt und damit einen weiteren Schritt dahin unternimmt, endlich gleichberechtigt zu Filmen als Kulturgut fest in der Gesellschaft Wurzeln zu schlagen.

Der vollkommen durchgeknallte Psychopath Trevor ist eine der interessantesten Videospielfiguren der letzten Jahre.
Der vollkommen durchgeknallte Psychopath Trevor ist eine der interessantesten Videospielfiguren der letzten Jahre. © 4P/Screenshot

Die Glitzerglamour-Welt Hollywoods kommt dabei ebenso unter die Satire-Räder wie Homeland Security, Schwule, Videospiele, Stars und Sternchen, Pornografie, Fitness-Wahn, Terrorismus usw. Zumal Rockstar es tatsächlich geschafft hat, hinter der offensichtlichen Provokation, die mitunter sogar am politisch unkorrekt Menschenfeindlichen entlangschrammt, eine weitere, bitterböse Ebene einzubauen, in der man der amerikanischen Gesellschaft knallhart einen Spiegel vorhält, in dem das Gesehene gleichermaßen bloß gestellt wie überhöht wird. Und in keiner Figur wird das so deutlich wie dem Psychopathen Trevor, der eine Mischung aus dem Rollenquerschnitt des großartigen Jack Nicholson einerseits, Al Pacinos Tony Montana in Scarface andererseits sowie der Unberechenbarkeit von Captain Jack Sparrow darstellt. Mitunter gibt es jedoch Ungereimtheiten innerhalb der Charakterdarstellung, da er auch als eigener Comic Relief fungiert. Soll heißen, dass er selber den die Spannung auflösenden Lacher liefert. Das passt mitunter zwar nicht zu seiner gnadenlosen Persona, aber ich nehme diese Kommentare dennoch gerne auf, um die innere Anspannung aufzulösen.