Hand aufs… Fenster

Einen großen Anteil hat daran außerdem die physische Präsenz, mit der Edward in allen Szenen erkennbar ist. Er rudert ja nicht nur das Boot anfangs in Richtung Graavik, sondern öffnet auch alle Türen, liest aus Briefen und Büchern vor, legt sogar die Hand sichtbar aufs Fenster, wenn man hinausschaut u.v.m. Es gibt keine Aktion, die wie von Geisterhand geschieht. Alle Schriftstücke sind zudem lesbar; streng genommen benötigt man nie künstlich übers Bild gelegte Hilfetexte, um Nachrichten zu entziffern. So ist man immer direkt im Geschehen drin. Nur dass die Kamera Edward beim Zeichnen seiner Skizzen plötzlich von außen zeigt, ist ein ärgerlicher, insgesamt aber zum Glück seltener Immersionsbruch.

Schön ist nicht zuletzt, dass man in den Gesprächen mitunter die Wahl zwischen verschiedenen Antworten hat – falls man überhaupt antworten will. Wobei die Entwickler auch hier mitgedacht haben und viele Antwortmöglichkeiten detailliert beschreiben. So drückt Edward nichts aus, was man Alice gar nicht mitteilen wollte. Man sollte nur bereit sein sich in den Protagonisten hineinzuversetzen, denn oft deckt Draugen nicht alle denkbaren Antwortmöglichkeiten ab. Man merkt, dass Red Thread (der Name ist Programm) eine kohärente Geschichte mit einer klar definierten Hauptfigur erzählen will. Dieses Adventure ist kein Rollenspiel und über weite Strecken auch klarer definiert als die Telltale- und andere Titel, darüber muss man sich bewusst sein.

Knotenteppich

Und es ist schwer über den Verlauf der Ereignisse zu sprechen, ohne etwas Wichtiges vorwegzunehmen. Deshalb werde ich das auch nicht tun, ihr könnt allerdings wissen, dass man mit Edward nicht nur der von seiner Schwester gelegten Fährte folgt, sondern gleichzeitig ein dunkles Geheimnis aufdeckt. Sämtliche Knoten sind dabei verbunden und so erzählt Red Thread Games eine ebenso persönliche wie spannende Geschichte.

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Vor allem das Unterhalten bzw. Interagieren mit Alice gelingt dem Spiel so gut, dass Erinnerungen an Firewatch wach werden. © 4P/Screenshot

Perfekt gelingt das allerdings nicht – aus verschiedenen Gründen. Der für mich offensichtlichste sind Abschnitte vor dem Finale, in denen recht unvermittelt entscheidende Teile der Geschichte relativ schnell aufgedeckt und Edward in aller Ausführlichkeit dargelegt werden. In diesen Minuten kam ich mir etwas überrumpelt vor, habe mir ein behutsames Heranführen an die Auflösungen gewünscht und dass ich Teile davon selbst herausfinden darf, anstatt sie gebündelt diktiert zu bekommen


Fantasie und Wirklichkeit

Zusätzlich kann man Draugen durchaus vorwerfen, dass es wichtige Teile seiner Handlungsebenen relativ oberflächlich behandelt. Oder zumindest nicht mit der Sorgfalt, die ihnen andere Spielemacher hätten zukommen lassen. Ich glaube, dass Autor und Regisseur Ragnar Tornquist das auch nie vorhatte, sprich im Wesentlich andere Prioritäten verfolgt hat. Dennoch hätte manchen Aspekten eine Idee mehr Tiefe womöglich gutgetan.

Doch wie gesagt: Wenn die Reise vorüber ist und Edward die Geschehnisse Revue passieren lässt, dann steckt man plötzlich auf interessante Weise in seiner Gedankenwelt. Dann macht Tornquist die Magie alltäglich und das Alltägliche magisch – und gibt der Fantasie damit einen Stellenwert, der ihr in diesem Zusammenhang häufig abgesprochen wird. Auch das klingt womöglich hochtrabender als es ist. Ich habe diesen gefühlvollen Schlussstrich unter das emotionale Abenteuer aber sehr genossen und mag Tornquists toleranten Blick, mit dem er dieses Abenteuer erschaffen hat.

  1. dermoritz hat geschrieben: 21.02.2020 22:23 Danke dass ihr den Test "nachliefert".
    4Players 85%+ -> Wunschliste -> Kauf -> Pile of Shame :-)
    exakt mein vorgehen - außer bei genres wovon ich fan bin und es kaum nachschub gibt. da gehen ich auf 80+ runter^^

  2. Ich habe es eben in knapp viereinhalb Stunden beendet, inkl. Lesen des Comics, welches als Extra aufrufbar ist (ich weiß nicht ob bereits zu Beginn verfügbar, empfehle aber dringend es erst nach Beendigung des Spiels zu lesen, es spoiler sonst zu viel).
    Die Spielzeit ist für mich einer der beiden Kritikpunkte des Spiels. Ich kannte seinerzeit das PC Lets Play was mir evtl ein wenig zu Gute kam, aber bin trotzdem des öfteren in der wunderschönen Spielwelr verharrt, sehr viel mehr Zeit hätte ich nicht rausschlagen können.
    Zweiter Kritikpunkt ist ein wenig das Ende. Keine Katastrophe, aber da hätte ich gerne einige Stränge gerne näher erklärt gehabt, zu ein paar Punkten fehlten mir dann doch nachvollziehbare Erklärungen. Es ist okay, aber hier würde ich mir eine "Special Edition" wünschen.
    Star des Spiels war für mich, neben dem wirklich wunderschönen norwegischen Fjord, die eigentliche Hauptdarstellerin des Spiels, meine Begleitung Lissy. Toll in Szene gesetzt und umgesetzt, ich freue mich auf mehr von den beiden :)
    Meine Wertung läge bei 80 bis 82%. Ich wurde gut unterhalten, dass Setting hat mir super gefallen, lediglich ein Bug zwang mich an einem Checkpoint neu zu laden. Leider ist der Wiederspielwert eher gering. Wer aber solche Spiele mag und mit der Spieldauer keine Probleme hat, der kann beruhigt zugreifen :)

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