Zweite Chance

“Unterm Strich ist Bright Memory letztlich leider nur eine interessante Fingerübung für ein vollwertiges Spiel, dem ich dann gerne eine Chance gebe.“ Mit diesem Satz endete mein Test von Bright Memory, jenem Shooter der als Bright Memory: Episode 1 im Jahr 2019 auf Steam debütierte und Ende 2020 auf die Xbox Series X|S schlitterte. Eine Spielzeit von nur 45 Minuten und die vielen nicht zu Ende gedachten Mechaniken waren mir lediglich 43 Spielspaßpunkte wert – letztlich fühlte sich der Titel wie eine verheißungsvolle Shareware-Version an, aber nicht wie ein vollwertiges Spiel! Im November letzten Jahres erschien dann der große Bruder: Bright Memory: Infinite landete auf Steam und erhielt seitdem über 27.000 Bewertungen, das Community-Fazit lautet „sehr positiv“. Seit Ende Juli ist der Titel nun endlich auch auf den Konsolen erhältlich – es ist Zeit, mein Versprechen einzulösen und „dem vollwertigen Spiel eine Chance zu geben“!

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Unnötig: Outfit-Optionen sind gern gesehen, aber in heutiger Zeit wirken die doch sehr platt. Immerhin sieht man Shelia ja nur in den Zwischensequenzen… © 4P/Screenshot

Jenseits von Sound und ein, zwei Nebensächlichkeiten steht hinter jedem einzelnen Punkt in den Credits: FYQD Studio. Und FYQD, das ist der 25-jährige Chinese Zeng Xiancheng, der schon als Solo-Entwickler von Bright Memory für Furore sorgte. Xiancheng erhielt, nach dem Erfolg der ersten PC-Episode und dem Rampenlicht, für das der Trailer-Auftritt auf dem Xbox Showcase 2020 sorgte, ein bisschen externe Unterstützung, um Infinite zu entwickeln – auch die Technik-Profis von Digital Foundry erwähnen, dass “diesmal andere Künstler, Musiker und Sprecher in das Projekt involviert waren”. Dennoch ist das Ergebnis eine großartige Leistung von Xiancheng – und ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit moderner Spieleentwicklungs-Tools. Bright Memory: Infinite offenbart einige grafische Unsauberkeiten, wenn man genau hinsieht – aber es ist halt auch ein verdammter Ego-Shooter mit zeitgemäßer 3D-Optik, fetzigen Effekten, Ray-Tracing und sauberer Bildrate. Dazu kommen einige ziemlich cool aussehende Gegner, schicke Tempelanlagen, Wasser hier, Feuer dort – und bei Headshots und Katana-Schlitzern sorgen top eingesetzte Mini-Zeitlupen für einen zusätzlichen Punch. Hat man das im Hinterkopf, dann ist es geradezu absurd, dass ein einzelner Mensch für den Großteil davon verantwortlich zeichnet, auch wenn das Spektakel nur zwei Stunden währt…

Tecmo hat angerufen und…


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Wer mit arcadigen Ego-Shootern Spaß hat, der sollte Bright Memory: Infinite eine Chance geben. Es gibt einige richtige coole Actionszenen. © 4P/Screenshot

…möchte seine platten Sex-Barbies aus den 2000ern zurück: Charakterdesign scheint die Stärke von Xiancheng nicht zu sein, seine Heldin Shelia wirkt ein Abziehbild von Kasumi und im Jahr 2022 damit wie aus der Zeit gefallen. Dazu passt auch, dass man ihr im Hauptmenü mehrere Kostümchen anziehen kann und sie im Bikini oder als kurzberocktes Schuldmädchen in die Schlacht schicken kann. Generell ist das Story-Drumherum ein arger Graus: Shelia ist eine Agentin der Supernatural Science Research Organization (SRO). Als plötzlich ein ominöses schwarzes Loch am Himmel auftaucht, muss sie gegen B-Movie-Master-Chiefs und die Nioh-Ersatzbank kämpfen – ein lausig eingeführter Superschurke, immer wieder eingestreute Funksprüche aus der Zentrale und der bondeske Ausflug hinters Steuer eines Sportwagens vervollständigen eine Actionposse, die nicht mal dem vielzitierten Bierdeckel zur Ehre gereicht.

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Die Verfolgungsjagd auf vier Rädern gehört den Lowlights – immerhin dauert sie nicht lange. © 4P/Screenshot

Doch das ist nicht schlimm, denn Zeit zum Nachdenken bleibt kaum: Shelia fegt in Ego-Sicht und mit einem für die kurze Spielzeit überraschend vielseitigen Toolset durch die schlauchartigen Stages, die großteils an asiatische Tempelanlagen erinnern, aber auch mal Ninja Gaiden’sche Straßenzüge zitieren; generell haben mich Tonalität, Feindvolk und auch Shelias Standard-Outfit an Ninja Gaiden 3 erinnert. Vier Waffen, darunter ein präzises MG, eine herrlich ratternde Pistolen-Uzi und eine dezent elektrifizierte Shotgun, begleiten euch durchs Spiel, alle verfügen über praktische Sekundärfunktionen. Die halten dem Vergleich mit der Kreativität von Insomniac in der Resistance-Reihe nicht Stand, viele Spielsituation erfordern aber ein regelmäßiges Nutzen aller Offensiv-Optionen. Obendrein kann Shelia eine Art Telekinese-Stoß bzw. -Griff auspacken und später im Spiel die Supermoves “Elektroschlag” sowie “Erdbebenschlag” lernen. Damit nicht genug: Shelias Katana ist messerscharf und ein treuer Freund gegen die Feindscharen. Sie kann damit feindliche Fernattacken blocken, Standardhiebe auf Gegner regnen lassen und sogar ein bisschen Devil May Cry-Lametta herbeizaubern: Ladet ihr die Klinge auf, könnt ihr Widersacher nach oben hebeln – die schweben dann wie eingefroren in der Luft und warten auf eure konzentrierte Feuerkraft.

Schnell & tödlich


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Die Einstellungsmöglichkeiten (hier: PS5) sind ganz ordentlich, z.B. dürft ihr Ray-Tracing zuschalten, das Sichtfeld ändern und eine Hohe-Bildrate-Modus aktivieren. © 4P/Screenshot

Abgesehen von ein paar Kleinigkeiten (Wall-Run schlecht erklärt, fehlende Stealth-Kill-Button-Einblendung) funktioniert Bright Memory: Infinite einfach richtig gut. Manchmal wähnt man sich fast in einem Call of Duty, weil die Steuerung so schön flutscht, die Knarren massig Munition haben und die Feind-KI doch eine recht schlichte ist. Das Zusammenspiel von Nahkampf-Attacken und Schusswaffen-Ballerei – in meiner Vorstellung ein sehr ambitioniertes Unterfangen in einem Ego-Shooter – klappt tadellos und muss sich hinter deutlichen größeren Projekten wie der Shadow Warrior-Reihe oder einem Red Steel 2 nicht verstecken. Thema Treffer-Feedback: Gegner reagieren befriedigend auf eure Angriffe, mitunter werden sogar Erinnerungen ans legendäre F.E.A.R. wach, wenn man zwischen Ausweich-Dash, Shotgun-Salve und Headshot-Slow-Motion einen Moment puren Shooter-Glücks empfindet. Weniger optimal ist das eigene Schmerz-Empfinden: Oft merke ich erst, dass ich heftig getroffen wurde, wenn es fast schon zu spät ist – dann signalisiert meine Sicht das sehr deutlich, doch die ersten Treffer lassen Feedback vermissen.

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Per aufgeladenem Schwerthieb schleudert ihr Feinde in die Luft – und pumpt sie dort dann mit Blei voll. © 4P/Screenshot

Bright Memory: Infinite füllt eure Lebensleiste bei kurzer Verschnaufpause automatisch auf, erfordert jedoch einen Tastendruck für das Auflesen von frischer Munition. Wer seinen Blick durch die Areale schweifen lässt, findet einige grüne Jade-Figuren, die man zum Aufleveln von Shelia braucht. Die Upgrades sind nicht zurücksetzbar, der Fähigkeitenbaum aber auch nicht zu verästelt – hier geht es vor allem darum, eure Knarren zu verbessern und ein paar wenige Moves dazuzukaufen. In puncto KI solltet ihr nicht viel erwarten – abseits von Feinden, die eindringlich auf euch einstürmen; ein paar Wachen mit Schild sind besonders knackig und in einigen Momenten schreckt das Spiel auch nicht davor zurück, Gegner in euren Rücken zu spawnen. Wer die Dooms oder Painkiller mochte, der kennt (und schätzt) das vielleicht (sogar).

  1. 2-3 Std. Spieledauer? Da hatte ich schon Demos länger gespielt, ganz schön mutig dafür was zu verlangen.
    Aber Demos gibt's ja auch so gut wie eine mehr; nicht ohne Grund. Man würde sich vieles nicht kaufen, nachdem man etwas damit gespielt hat.

  2. Heult doch. Als Konsolero grase ich net auch noch irgendwelche PC Magazine ab, insofern hab ich von dem Ding noch nix gehört und empfinde den Test als bereichernde Information.
    Mal wieder das alte Problem. "Die Welt dreht sich nur um mich, mich, mich! Andere Sichtweisen, Kenntnisse und Interessen sind mir unvorstellbar." Frage mich längst, wie solche Leut eig durchs Leben kommen.
    Kann nur empfehlen schleunigst umzudenken, die Zeit des Pamperns ist vorbei. Ohne wenigstens bissl Sozialkompetenz wird man bald nicht mehr überlebensfähig sein.
    Nix zu danken.

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