Als Blue Estate letztes Jahr im Juni auf der PlayStation 4 erschien, blieb es komplett unter dem Radar. Zumindest unter meinem, obwohl ich eigentlich Railshooter mag. Ich habe in zahlreichen mittlerweile indizierten Serien Zombies und Gangster mit Namcos G-Con Plastikpistole über den Haufen geschossen. Und selbst dem unterirdischen Videospiel zu Rambo konnte ich einen gewissen primitiven Spaß abgewinnen. Doch wie man es auch dreht und wendet: Das Genre ist ausgedörrt. Immerhin: Mit der Veröffentlichung der Xbox-One-Version, die neben einem exklusiven Arcade-Modus auch mit einer Steuerungsvariante per Kinect punkten wollte, hatte ich schließlich Gelegenheit, die auf dem Comic von Viktor Kalvachev basierende Ballerei genauer in Augenschein zu nehmen. Das Ergebnis mit der erstaunlich gut funktionierenden Kinect-Steuerung war eine Wertung von 56%. Die Inhalte der PC-Version entsprechen der One-Fassung: Neben der Kampagne kann man im Arcade-Modus auf Highscore-Jagd gehen und versuchen, den Kombozähler nach oben zu treiben, um den lokalen oder weltweiten Ranglisten den Kampf anzusagen.
Zweierlei Spaß
In der jeweils vom Kapitel zugewiesenen Rolle von entweder dem durchgeknallten Mobboss-Sprössling Toni Luciano oder dem Ex-Navy-Seal Clarence wird man auf Schienen in Ego-Sicht durch das gut drei bis vier Stunden dauernde Dauerfeuer geschoben und kämpft gegen Söldner, die Mafia, Triaden und ein koreanisches Oberbösewicht-Brüderpaar. Per Mausbewegung lenkt man das Fadenkreuz über die Gegner, ein Klick auf die linke Taste erledigt den Rest. Die meist geskripteten sowie die Action gut ergänzenden Reaktionstests bewältigt man mit den Pfeiltasten. Vom Ausweichen gegnerischen Feuers bis hin zum Erklettern von Gerüsten reicht das simple Anforderungsniveau – oder aber, um entweder im Nahkampf auszuteilen bzw. gegnerische Wurfgeschosse an den Absender zu adressieren.
Zwar werde ich das Gefühl nicht los, dass das Spiel einem bei den letzten Millimetern hin zu einem Kopfschuss etwas unter die Arme greift. Doch das Spielgefühl wird dadurch nur unwesentlich beeinflusst. Allerdings ist die höchst akkurate Maussteuerung für eine Ballerei dieser Art zu leicht. Man spürt immer wieder, dass der Ursprung von Blue Estate auf Konsolen liegt und der Schwierigkeitsgrad auf die dortigen Kontroll-Optionen zurechtgeschnitten wurde. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt dass abseits des Pads (wegen der unnötig aufkommenden Hektik und Ungenauigkeit nicht ratsam) zwei weitere Steuerungsmethoden angeboten werden: Man kann entweder mit einem Sensor-Controller die Waffe kontrollieren, wobei hier ähnlich der Kinect-Variante auf der One automatisch geschossen wird, sobald das Ziel im Fadenkreuz auftaucht. Das „richtige“ Spielhallen-Gefühl dürfte ohnehin nur mit einer Lichtpistole zu erreichen sein, die zwar auch von Blue Estate unterstützt wird, die aber für den Test ebenso wenig zur Verfügung stand wie ein Sensor. Doch ungeachtet der gewählten Kontrollmethode und der dadurch entstehenden größeren oder kleineren Immersion bleibt ein Problem bestehen: Der Shooter-Kern ist sehr gewöhnlich – und darüberhinaus im Vergleich zu einigen Titeln von Namco oder Sega sehr klassisch inszeniert.
Wo ist der Comic?
Und das ist gerade angesichts des Comic-Ursprungs bedauerlich. Nicht nur, dass die Kulisse im Allgemeinen bis auf wenige Ausnahmen den Beweis schuldig bleibt, hier Highend-Hardware im Einsatz zu sehen. Auch die Artdesign-Ansätze, die auf den Blue-Estate-Urprung schließen lassen, werden viel zu selten eingesetzt und weichen zumeist einem Standard-Design. Schade, denn genau in den Momenten, in denen man nicht über Rasen aus der Tiger-Woods-Serie läuft, sondern über Farbstriche, grobe Punktraster etc. in der Kulisse stolpert, nimmt Blue Estate wenigstens visuell Fahrt auf. Immerhin wird nicht mit roter Farbe gespart, wobei man auch hier angesichts des Pulp-Ansatzes der Comic-Vorlage immer noch zu zahm bleibt. Und der Humor? Nun, der ist ja bekanntlich Geschmackssache. Und zumindest bei mir zündet er nur selten.
Während der überambitionierte und mit einem Vaterkomplex versehene Toni als überkandidelte Karikatur von Joe Pesics Tommy DeVito aus Goodfellas für mich ebenso wenig funktioniert wie die nach Lachern heischenden flachen Gags der koreanischen Mob-Brüder, holt Navy Seal Clarence immer wieder die Kohlen aus dem Feuer. Genauer gesagt, die ständig mit ihm über Funk in Verbindung stehenden geistig minderbemittelten Handlanger von Don Luciano, die ihm helfen sollen, sicher durch Feindesgebiet zu navigieren, aber ihn letztlich nur von einem Schlamassel in den nächsten bugsieren. Die Dialoge zwischen den Dreien haben bei mir immer wieder zu einem Schmunzeln geführt. Und das passiert sowohl bei Tony zu selten als auch bei der übergelagerten Geschichte, die ein gescheiterter Privat-Detektiv erzählt und die von Einblendungen ergänzt werden, die die vierte Wand aufreißen. Alles hehre Versuche, um eine simple Ballerei mit einer Art humoristischen Arthaus-Ansatz aufzuwerten – allerdings auch Versuche, die nur in den seltensten Fällen aufgehen. Immerhin: Es gibt Chihuahas, die als Running Gag funktionieren.