Wieso erst jetzt?

Als Blue Estate (BE) letztes Jahr im Juni auf der PlayStation 4 erschien, blieb es komplett unter dem Radar. Zumindest unter meinem, obwohl ich eigentlich Railshooter mag. Ich habe in zahlreichen mittlerweile indizierten Serien Zombies und Gangster mit Namcos G-Con Plastikpistole über den Haufen geschossen. Und selbst dem unterirdischen Videospiel zu Rambo konnte ich einen gewissen primitiven Spaß abgewinnen. Doch wie man es auch dreht und wendet: Das Genre ist ausgedörrt. Immerhin: Mit der Veröffentlichung der Xbox-One-Version, die neben einem exklusiven Arcade-Modus auch mit einer Steuerungsvariante per Kinect punkten möchte, hatte ich schließlich Gelegenheit, die auf dem Comic von Viktor Kalvachev basierende Ballerei genauer in Augenschein zu nehmen.

[GUI_STATICIMAGE(setid=77645,id=92499834)]
Hinter Blue Estate steckt ein in nahezu jeder Hinsicht klassischer Rail-Shooter. © 4P/Screenshot

Drei Dinge fallen dabei besonders auf: Die Kinect-Steuerung funktioniert im Rahmen der Möglichkeiten erstaunlich gut und ist für mich definitiv der unnötig hektischen (wenngleich konfigurierbaren) Pad-Kontrolle vorzuziehen. Die mit Hilfe von Unreal Technologie gezeichnete Kulisse kann sich nicht entscheiden, ob sie dem Comic-Stil oder dem visuellen Durchschnitt frönen soll. Und der Humor, dem man im Lauf der sieben Kampagnen-Missionen begegnet, ist extrem gewöhnungsbedürftig. Doch eins nach dem anderen…

Zweierlei Spaß


In der jeweils vom Kapitel zugewiesenen Rolle von entweder dem durchgeknallten Mobboss-Sprössling Toni Luciano oder dem Ex-Navy-Seal Clarence wird man auf Schienen in Ego-Sicht durch das gut drei bis vier Stunden dauernde Dauerfeuer geschoben und kämpft gegen Söldner, die Mafia, Triaden und ein koreanisches Oberbösewicht-Brüderpaar. Das Fadenkreuz auf dem Bildschirm steuert man auf dem Pad mit dem rechten Stick, während man mit der Schultertaste abfeuert. Der linke Stick ist für meist geskriptete und die Action gut ergänzende Reaktionstests vorgesehen, die vom Ausweichen gegnerischen Feuers bis hin zum Erklettern von Gerüsten reichen – oder aber, um entweder im Nahkampf auszuteilen bzw. gegnerische Wurfgeschosse an den Absender zu adressieren. Obwohl man die Empfindlichkeit regulieren kann, bleibt die Pad-Steuerung allerdings bedingt durch die aufkommende Hektik für mich nur zweite Wahl.

[GUI_STATICIMAGE(setid=77645,id=92499833)]
Es kracht, es bummt, aber es wirkt zu selten wie ein Spiel der aktuellen Generation. © 4P/Screenshot

Zwar kann man bei der Kontrolle über den Kinect-Sensor nicht selbst abdrücken – Blue Estate feuert automatisch, sobald der Feind irgendwie im von der rechten Hand gesteuerten Fadenkreuz auftaucht. Dennoch ist das Spielgefühl dank der genauen Bewegungserkennung ordentlich und annähernd wie früher mit einer GCon in der Hand. Selbst „Schießbudentests“, in denen man die Gegner in einer bestimmten Reihenfolge erledigen muss, gehen locker von der Hand. Nachgeladen wird akkurat, indem man die Hand vom Bildschirm nach unten senkt. Greift man über die Schulter nach hinten, wird die Waffe gewechselt. Auch die Reaktionstests mit der linken Hand werden optimal erkannt, so dass per Kinect nicht nur die Immersion, sondern auch der Spaß höher einzuschätzen sind – auch wenn nach einem Abschnitte (ca. 20 bis 30 Minuten) der rechte Arm durchaus erste Schmerzherde entwickelt. Doch ein Problem bleibt bestehen, gleichgültig ob man klassisch per Pad oder modern per Bewegung spielt: Der Shooter-Kern ist sehr gewöhnlich – und darüberhinaus im Vergleich zu einigen Titeln von Namco oder Sega sehr klassisch inszeniert.

Wo ist der Comic?

Und das ist gerade angesichts des Comic-Ursprungs bedauerlich. Nicht nur, dass die Kulisse im Allgemeinen bis auf wenige Ausnahmen den Next-Gen-Beweis schuldig bleibt. Auch die Artdesign-Ansätze, die auf den Blue-Estate-Urprung schließen lassen, werden viel zu selten eingesetzt und weichen zumeist einem Standard-Design. Schade, denn genau in den Momenten, in denen man nicht über Rasen aus der Tiger-Woods-Serie läuft, sondern über Farbstriche, grobe Punktraster etc. in der Kulisse stolpert, nimmt Blue Estate wenigstens visuell Fahrt auf. Immerhin wird nicht mit roter Farbe gespart, wobei man auch hier angesichts des Pulp-Ansatzes der Comic-Vorlage immer noch zu zahm bleibt. Und der Humor? Nun, der ist ja bekanntlich Geschmackssache. Und zumindest bei mir zündet er nur selten.

[GUI_STATICIMAGE(setid=77645,id=92499830)]
“Kommt mit nem Baseball-Schläger zu ner Schießerei…” © 4P/Screenshot

Während der überambitionierte und mit einem Vaterkomplex versehene Toni als überkandidelte Karikatur von Joe Pesics Tommy DeVito aus Goodfellas für mich ebenso wenig funktioniert wie die nach Lachern heischenden flachen Gags der koreanischen Mob-Brüder, holt Navy Seal Clarence immer wieder die Kohlen aus dem Feuer. Genauer gesagt, die ständig mit ihm über Funk in Verbindung stehenden geistig minderbemittelten Handlanger von Don Luciano, die ihm helfen sollen, sicher durch Feindesgebiet zu navigieren, aber ihn letztlich nur von einem Schlamassel in den nächsten bugsieren. Die Dialoge zwischen den Dreien haben bei mir immer wieder zu einem Schmunzeln geführt. Und das passiert sowohl bei Tony zu selten als auch bei der übergelagerten Geschichte, die ein gescheiterter Privat-Detektiv erzählt und die von Einblendungen ergänzt werden, die die vierte Wand aufreißen. Alles hehre Versuche, um eine simple Ballerei mit einer Art humoristischen Arthaus-Ansatz aufzuwerten – allerdings auch Versuche, die nur in den seltensten Fällen aufgehen. Immerhin: Es gibt Chihuahas, die als Running Gag funktionieren.

Hinterlassen Sie bitte einen Kommentar.