Erst vor einem knappen Monat hat Nintendo ein Spiel aus dem Hut gezaubert, dessen Existenz die meisten wohl längst abgeschrieben hatten: Everybody 1-2-Switch!, der Nachfolger zum 2017 veröffentlichten Party-Spiel 1-2-Switch!, das Berichten über interne Tests zufolge so schlecht war, dass es nie hätte erscheinen sollen. Doch die Lage hat sich geändert, denn heute feiert der zweite Versuch der Multiplayer-Sause seinen Release. 

 

Nintendo hat uns zu einem Hands-On-Event in Berlin eingeladen, bei dem wir zusammen mit dutzenden von Pressekollegen und Content Creator die Joy-Cons und Smartphones zücken durften, um einige der brandneuen Minispiele auszuprobieren. Wir verraten euch, ob Everybody 1-2-Switch! mehr ist als nur eine glorifizierte Tech-Demo und für wen sich der Party-Titel überhaupt eignen dürfte.

Everybody 1-2-Switch!: Großer Spaß nur für große Gruppen

Gleich vorweg: Everybody 1-2-Switch! ist ein Spiel der Extreme. Je größer die Gruppe, desto mehr Spaß bereiten die Minispiele durch das Chaos, das bei einer hohen Anzahl an Teilnehmenden entsteht, während die Zusammenkunft einer kleinen Gruppe exponentiell weniger Vergnügen bereitet. Insofern war das Anspiel-Event die optimale Gelegenheit, um die Stärken des Party-Titels auszuspielen, die aber gleichzeitig auch die wohl größte Schwäche zum Vorschein gebracht hat: Everybody 1-2-Switch! dürfte bei einem Abend mit einer kleinen Gruppe von guten Freunden deutlich weniger zünden als bei einem Event mit mehr als fünfzig Leuten.

Dass man mit Everybody 1-2-Switch! im Vergleich zum Vorgänger deutlich höher stapelt, zeigt schon die Zahl der möglichen Spieler: Während 1-2-Switch bis zu zwei Joy-Con-Träger gleichzeitig vor den Bildschirm lässt, ist die Zahl der Teilnehmenden beim Nachfolger auf bis zu acht Spieler begrenzt, wenn nur die Nintendo-Controller zum Einsatz kommen sollen, erlaubt bei der Wahl eines Smartphones als Gamepad-Ersatz allerdings sogar bis zu 100 Party-Tiere. Auch wenn wir beim Event zunächst mit zwei Vierer-Teams gegeneinander angetreten sind, hat sich das wahre Potenzial des Spiels erst am Ende entfaltet, als sich rund 50 Leute auf zwei Teams aufgeteilt haben und mit Hallenlautstärke angefeuert und gejubelt wurde.

Auf einer Hochzeit könnte Everybody 1-2-Switch! mit der entsprechenden Menge an Gästen vermutlich mehr Spaß machen als zu viert im eigenen Wohnzimmer.

An den Test-Stationen, an denen wir zwischendurch auch mal zu dritt in die schräge Welt von Everybody 1-2-Switch! eingetaucht sind, war dagegen schnell die Luft raus: Viele Minispiele sind deutlich unterhaltsamer, wenn sich nicht nur eine Handvoll Menschen Eiskugeln merken oder Seil springen muss, sondern zwanzig oder dreißig. Damit dürfte der Party-Nachfolger für viele schnell langweilig werden, denn wer kommt regelmäßig in solch großen Gruppen zusammen? Schuld an der geringen Langlebigkeit und Alltagstauglichkeit sind aber auch die sehr durchwachsenen Minispiele.

Eine Minispielsammlung mit wenigen Highlights

Wollte man mit den Minispielen des Vorgängers noch die wundersame Technik der Nintendo Switch vorführen und setzte dabei ganz auf Joy-Con-Vibrationen und spürbare Eiswürfel, bedient sich Everybody 1-2-Switch! einer bunten Mischung aus bekannter Party-Unterhaltung, von der sich die ein oder andere direkt vom Kindergeburtstag ins Spiel geschlichen hat. Wenn Ochs am Berg und Reise nach Jerusalem am Start sind, fehlt eigentlich nur noch Topf schlagen, um das Trio klassischer Geburtstagsbeschäftigung voll zu machen. Zusammen mit Bingo, Seil springen oder Squats, bei denen der Name Programm ist, hat auch Everybody 1-2-Switch! leider wieder eine ganze Menge an einfallslosen Minispielen im Gepäck, dessen Auswahl die Anwesenden vermutlich mit den Augen rollen lassen.

Dass das Ninja-Spiel, bei dem man Wurfsterne mit einem gekonnten Schwertschwung abwehren muss, eins zu eins aus dem Vorgänger stammt, ist auch nicht gerade ein Zeugnis von Innovation. Immerhin: Ein paar eigene Minispiele hat man sich dann aber doch einfallen lassen. Bei Kitchen Timer gilt es, im richtigen Moment den Joy-Con drehen, um ein Steak perfekt zuzubereiten, während Schubsen einen ordentlichen Hüftschwung voraussetzt, um das Gegenüber aus dem Ring zu stoßen. Auch Ballons zur richtigen Größe aufzupusten, ohne sie platzen zu lassen, oder Aliens mit ziemlich anstrengenden Armbewegungen anzulocken, kann durchaus unterhaltsam sein.

Das klare Highlight des Abends: Ein Spiel, bei dem eine zufällige Farbe vorgegeben wird, die wir dann innerhalb eines Zeitlimits im Raum suchen und fotografieren mussten. Wer der vorgegebenen Farbe mit seinem Foto am nächsten kommt, bekommt am meisten Punkte und so sind nicht nur Schnelligkeit, sondern auch Kreativität gefragt, um ausgefallenere Farbtöne zu finden und Lichtverhältnisse miteinzubeziehen. Doch wie häufig hat man Freude an diesem Minispiel, wenn es im immer gleichen Wohnzimmer zuhause stattfindet und man so schon nach wenigen Runden immer wieder die gleichen Farbbeispiele reproduziert?

Das Problem aller Minispiele, egal wie kreativ oder spaßig sie auch sein mögen: Die Farbe blättert schneller ab, als sie trocknet. Der größte Unterhaltungsfaktor ist der Aspekt des Unbekannten, wenn ein Spiel das erste Mal auf dem Bildschirm erscheint und alle Anwesenden sich der neuen Herausforderung stellen müssen. Das Konzept von Everybody 1-2-Switch! dürfte einem Langzeittest einfach nicht standhalten, denn nach dem dritten Mal mit den immer gleichen Partyspiele ist schnell die Luft raus. Ein klassischer Fall von: Lustig für ein oder zwei Mal im größeren Freundeskreis, bevor es danach doch wieder in der Ecke verstaubt.

Everybody 1-2-Cringe!

Bleibt noch die Präsentation, bei der man einen Haufen Stockfotos an eine Wand geworfen hat, um zu schauen, was kleben bleibt. Alles wirkt beliebig und bunt zusammengewürfelt: Lizenzfreie Bilder von Köchen, Kindern und Kostüme treffen auf Videos von Schauspielern, die die Übungen vormachen und den Moderator mit Pferdemaske, der auf den Namen Horace hört. Weil der wiehernde Tierkopf eher vor gut zehn bis fünfzehn Jahren das Internet dominierte und heute glücklicherweise aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden ist, wirkt diese Wahl umso bizarrer.

Everybody 1-2-Switch! ist bunt, aber selten charmant. Zwischen Hasenkostümen und Pferdemasken habe ich mich jedenfalls eher fehl am Platz gefühlt.

Zusammen mit einer Sprachausgabe, die Moderatoren und Moderatorinnen aus vielen verschiedenen Altersgruppen beinhaltet, bei der die jüngeren aber allesamt klingen, als wären sie direkt einem Horrorfilm entsprungen, landet das audiovisuelle Gesamtpaket von Everybody 1-2-Switch! irgendwo zwischen schräg und unangenehm. Der Look ist nicht offensiv schlecht, aber so willkürlich, dass ich mich gefragt habe, wo die typische Nintendo-Magie geblieben ist, die man vom eleganten Design anderer Spiele des Entwicklers gewohnt ist. Angesichts eines Party-Titels für kurzweilige Unterhaltung kein Weltuntergang, aber ein bisschen mehr Kohärenz wäre schon schön gewesen.

Besser als der Vorgänger, aber…

Entgegen meiner Skepsis und vor allem im Vergleich zum mehr als ernüchternden Vorgänger hat Everybody 1-2-Switch! beim Anspiel-Event durchaus Laune gemacht. Die neue Ausrichtung, bei der man sich recht eindeutig an Spielen wie der Jackbox-Reihe orientiert und dank der Smartphone-Teilnahme für eine niedrige Einstiegsbarriere sorgt, funktioniert zumindest in großen Gruppen überraschend gut – auch wenn viele der Minispiele in Sachen Innovation nicht mal einen Blumentopf  gewinnen würden. 

Gerade deshalb kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass Everybody 1-2-Switch! im kleinen Kreis und vor allem auf lange Sicht besonders viel zu bieten hat: Schnell ist das Konzept der meisten Minispiele ausgelutscht und ohne die Event-Atmosphäre fehlt es dem Spiel an Charme, um für Stimmung zu sorgen. Wer weiß, dass er öfter in zumindest halbwegs großen Gruppen zusammenkommt oder kein Problem damit hat, knapp 30 Euro für zwei oder drei Abende Unterhaltung im Freundeskreis zu bezahlen und sich nicht an der schrägen Präsentation stört, wird mit Everybody 1-2-Switch! vermutlich seinen Spaß haben – zumindest garantiert mehr als mit dem fast 50 Euro teuren Vorgänger.

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