Jeder Klotz eine andere Regel

 

In guten Rätsel-Spielen sind es oft simple Mechaniken, die uns stundenlang vor den Bildschirm bannen. Bei The Witness verbindet man Punkte miteinander, bei Braid dreht man die Zeit vor und zurück und bei Gorogoa kombiniert man Gemälde. Aber unter der Oberfläche offenbart sich schneller als einem lieb ist der komplexe, süchtig machende Kern. Baba is You reiht sich wunderbar in diesen Kanon ein: In einem Interview mit Gamasutra erklärte Hempuli, dass er bei der Entwicklung vor allem nach coolen Lösungen suchte, nach einem kreativen Kniff bzw. Twist.

 

Worum geht es? Als kleines Wesen „Baba“ muss ich in jedem Level Objekte verschieben, um ans Ziel zu gelangen. Doch anders als bei gewöhnlichen Schieberätseln kann hier jeder Klotz die Spielregeln verändern. Umso wichtiger ist es zu begreifen, welche Möglichkeiten man hat und welche fixen Rahmenbedingungen es zu beachten gilt. So lerne ich zu Beginn, dass drei Klötze die Regel „Rock is push“ und drei weitere „Flag is win“ bilden. Also schiebe ich als Baba den Stein einfach aus dem Weg

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Zu Beginn startet man mit einfacheren Rätseln und nur wenigen Regel-Klötzen. © 4P/Screenshot

und kann zur Flagge marschieren. 

 

 

Im nächsten Level finde ich nur drei Klötze vor „Flag“, „is“, und „win“. Alles klar! Die Gewinnbedingungen fehlen, also schiebe ich die drei Elemente zu „Flag is win“ zusammen und marschiere zum Ziel. Doch schon beim nächsten Rätsel ist die Schonfrist vorbei: Ab jetzt konfrontiert einen jedes Level mit völlig neuen Regeln, bei denen man um die Ecke denken muss.                         

 

Hatte ich mich gerade mit meiner Rolle als knuffiges Baba-Wesen identifiziert, bewege ich mich plötzlich als Stück Wand voran: Die Regeln lauten „Wall is You“ – danke, ist mir auch schon aufgefallen! – und „Flag is Stop“. Ich kann also nicht durch die mich umgebenden Flaggen zum Ziel laufen. Noch gibt es ja auch gar kein Ziel, weil ich keine Gewinnbedingung festgelegt habe. Und spätestens in diesem Moment erinnert man sich, dass man selbst die Regeln verändern und aufstellen kann: Schon schiebe ich den „Stop“-Block weg und bugsiere die Elemente „Flag“ und „is“ nach oben, wo der Block „win“ bereits auf mich wartet. Dann erstrahlt „Flag is win“ und die Flaggen, die mich zu Beginn noch eingesperrt

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Im Verlauf des Spiels werden die Rätsel allerdings sehr komplex und verdammt knifflig! © 4P/Screenshot

haben, werden zum Ziel. 

 

 

Es wird sehr schnell komplex!

 

Aber täuscht euch nicht, denn ich habe diese anfänglichen leichten Level gewählt, um das Spielprinzip zu erklären und nichts Wichtiges zu verraten. Mit jedem neuen Gebiet, das man freischaltet, kommen immer komplexere Bedingungen und Objekte hinzu. Im Verlauf muss man mit zahlreichen Hindernissen wie Flüssen oder Lava leben oder kniffligen Rahmenbedingungen wie “Skull is death”, die sich nicht wegschieben lassen. 

 

Man muss Roboter oder Geister nutzen, die nur von links nach rechts laufen können, sich in andere Gegenstände verwandeln, um ins Ziel zu hüpfen, Gegenstände teleportieren, die Schwerkraft beachten – und so weiter und so weiter. Es ist einfach Wahnsinn, wie viele gefühlt endlose Regeln und Möglichkeiten sich Hempuli ausgedacht hat. In jedem Level war ich aufs Neue gezwungen mir zu überlegen, wie ich das Problem lösen könnte. 

 

 

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Manchmal wird man selbst plötzlich zur Ziellinie. Immer wieder muss man um die Ecke denken, wird dabei aber durch clevere Levelabfolgen an die Hand genommen. © 4P/Screenshot

Das Tolle daran ist, dass man nie ins kalte Wasser geworfen wird. Finnland hat ja bekanntlich ein wunderbares Schulsystem und es scheint als hätte Hempuli davon profitiert. Denn jedes Level ist so fantastisch aufeinander abgestimmt, dass eine der besten Lernkurven entsteht, die ich seit langem in einem Rätselspiel erleben durfte. Sehr behutsam wird man auf neue Bedingungen vorbereitet, darf sie mehrmals mit einfachen Rätseln üben, bevor man sie anwendet, um ein wirklich kniffliges Problem zu lösen.

 

 

Auf lange Sicht sinkt die Motivation

 

Sobald man acht Level löst, hat man genug Sporen zusammen, um das nächste Gebiet zu erkunden. Manche lassen sich erst dann öffnen, wenn man eine gewisse Anzahl gelöst hat. Dieses einfache Prinzip hat mich zumindest zu Beginn sehr motiviert immer weiter zu rätseln, um irgendwann alle Gebiete mit ihren abgefahrenen Parametern kennenzulernen.

 

Doch wie steht es um die Sogwirkung und Langzeitmotivation? Mit meinen Lieblingsrätselspielen wie The Witness oder Catherine kann ich mich stundenlang beschäftigen und hätte nichts dagegen, sie immer wieder aufs Neue durchzuspielen. Baba is You konnte diese Faszination bei mir leider nicht auslösen. Anfangs freute ich mich noch über das freche Artdesign, das viele sicher so abschreckt, dass sie auf diese spielerisch geniale Perle verzichten müssen. Aber irgendwann wünschte ich mir mehr als nur einen ewigen Loop an neuen Regeln und Hindernissen. 

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Auf Dauer können die simple Kulisse und fehlende Geschichte nicht genug motivieren, um die im Verlauf sehr schweren Rätsel zu meistern. © 4P/Screenshot

 

 

Die selbst für ein Indiespiel sehr einfach gehaltene Grafik, die mit ein paar Sternen einen Weltraum und mit ein paar Bäumen einen Wald inszenieren will, stellt zusammen mit dem sich wiederholenden Elektrogedudel einfach keine einladende Rätselumgebung dar. Die nur sehr schemenhaft angedeutete Geschichte bietet ebenfalls keinen Anreiz: Wer ist Baba? Wieso rätselt sie sich durch die Welt? Was sollen wir erreichen? 

 

Bei den von mir genannten Rätselspielen wird man entweder durch eine emotionale Geschichte oder durch die Faszination an der Umgebung zum Weiterspielen motiviert. Dadurch, dass Baba is You sehr schnell sehr schwer wird und man teilweise ewig an den Leveln sitzt, wäre es großartig gewesen, einen motivierenden Überbau zu haben. 

 

 

  1. Also ich habe Baba is You letzte Woche endlich komplett durch - bis auf den allerletzten Geheimlevel, den ich mir jetzt aber mal spare... beim zweiten Durchgang gehe ich den dann mal an.
    Stephen's Sausage Roll fand ich irgendwann langweilig. Also auch teilweise absurd schwierig, aber eben so langweilig, daß ich gar nicht mehr die Lust verspürt habe weiterzumachen. Daher habe ich das auch nie weit gespielt.
    Aber Baba is You... also da kommen dann später Levels, da habe ich auch nach teilweise 1-2 Stunden die Lösung nicht gefunden. Und mußte mir dann auf dieser Seite "spoilerfreie" Tips holen: https://www.keyofw.com/baba-is-hint/
    Manchmal war ich auch kurz davor, einfach aufzugeben und das Spiel zu deinstallieren - SO schwer sind manche Levels. Das einzige andere Rätselspiel, wo ich ähnlich nah der Verzweiflung war, hatte ich bereits an anderer Stelle angesprochen: Tametsi. Aber da habe ich dann immer die Lösung irgendwann gefunden. Nicht so bei Baba is You - was aber auch den etwas komplizierteren Spielmechanismen der späteren Levels geschuldet ist.
    Aber diese kleinen Motivationsdellen habe ich dann doch überwunden - denn es ist schon ein geiles Gefühl, wenn man selbst die Lösung zu den Levels findet, sodaß sich die Motivation dann wieder aufbaut. Aber manchmal war das wie gesagt grenzwertig. :D
    Story und Grafik, die im Test ja leicht kritisiert wurden, sind mir bei solchen Spielen zum Glück ziemlich egal. Wie sollte man so etwas Abstraktes auch in eine sinnvolle Story einbauen? Und die Einfachheit der Grafik kommt der Konzentration aufs Gameplay zugute, wie ich finde. Wie auch die sparsame Musikuntermalung.
    Alles in allem meiner Meinung nach eines der besten Rätselspiele der letzten Jahre mit einigen Levels, die einem das Hirn zu bitteren Tränen pressen und durch die Drüsen schießen lassen. Damit neben dem bereits erwähnten Tametsi, den Hexcells-Spielen und natürlich Talos Principle aktuell mein Rätsel-Favorit! :Hüpf:

  2. Ok fairer Test und eine dann doch noch fair Wertung.
    Hatte befürchtet dass da jetzt ein Verriss folgt, weil das Spiel nicht ganz den Maßstäben von Alice gerecht werden konnte. Also so Formulierungen wie: "In jedem Level war ich aufs Neue gezwungen mir zu überlegen, wie ich das Problem lösen könnte." klingen schon arg komisch, weil es ja eben doch genau das ist worum sich das gesamte Spiel dreht, Rätsel lösen, mit dem Fokus auf Gameplay und Überraschung. Mir persönlich hat es eigentlich gereicht dass von Anfang bis Ende stets neue Features dazu kamen und noch einige verdammt clevere... moment wo wir gerade dabei sind muss ich anmerken dass der Screenshot von der World Map, der im Test eingebunden wurde gar nicht clever ist.
    Dort wird schon ein großer Überraschungsmoment im Spiel gespoilert, ich würde wirklich dazu raten dieses Bild mit etwas weniger spoilerbehafteten auszutauschen, wäre ich nicht schon so weit, wäre ich da ziemlich sauer.
    Der Test klang tatsächlich negativer als die letztliche Wertung, ich kann mir jedoch vorstellen dass die Autorin auch Rücksicht auf die Zielgruppe genommen hat und im Hinterkopf weiß dass es Spieler gibt die genau sowas wollen. Ein vergleichbares Spiel namens "Stephen's Sausage Roll" würde dir Alice vermutlich noch viel weniger gefallen da es dort sogar schon direkt extrem hart anfängt und im Laufe des Spiels nur noch schwieriger wird, ohne groß visuelle Abwechslung oder eine Geschichte zu bieten. Im Vergleich zu diesen Spiel was auch von Puzzle-Fans abgöttisch geliebt wird, kann "Baba is You" doch noch mal ein bisschen mehr bieten, dass auch Gelegenheitsspieler ein paar spaßige Stunden bieten kann. Beide basieren allerdings auf eine Prämisse die für mich einfach nur von Genialität zeugt, für mich sind es dann doch Spielsysteme die am Ende überzeugen,die visuelle Gestaltung kann da von mir aus auch durch ASCII Zeichen erfolgen. So simpel der Grafikstil von Baba is You rüber kommt, so ist er doch in sich genommen stimmig.

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