Vom Arschkriecher zum obersten Wichser

Macht euch bloß nichts vor, falls ihr lupenreine Konsoleros seid: Wasteland 2 ist ein fast schon urzeitliches Rollenspiel, das in erster Linie für den PC und Nostalgiker entwickelt wurde – nur deshalb wurde es so erfolgreich über Kickstarter von alten

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In den Optionen könnt ihr nicht nur den Schwierigkeitsgrad anpassen, sondern nahezu alle Anzeigen. Empfehlenswert an PS4 und Xbox One: Schriftgröße auf extra groß. © 4P/Screenshot

Säcken wie mir finanziert. Wer es auf PlayStation 4 oder Xbox One startet und jünger als 20 Jahre ist, könnte sich wie in einer Zeitmaschine vorkommen und auf der Couch unfreiwillig zu blinzeln anfangen. Denn nach der Charaktererstellung, die über ein Dutzend neue Psychoprofile (Quirks) wie “Asket” oder “Manisch depressiv” mit Vor- und Nachteilen anbietet, landet ihr in einer Wüste, die auch nach zwanzig Kameraschwenks nicht besonders cool aussieht. Da warten kleine (und überaus verrückte) Typen in isometrischer Perspektive auf euch, während ihr eure zunächst vierköpfige Gruppe per Analogstick bewegt. Ihr wollt ganz nah ranzoomen, um die individuelle Ausrüstung vom Scharfschützengewehr bis hin zur Schrotflinte genau zu betrachten? Geht nicht. Dafür müsst ihr auf das Touchpad tippen, damit sich die frisch designten Charakterbildschirme öffnen. Spätestens hier dürfte Rollenspielern alter Schule das Herz aufgehen, denn man kann sich in zig Werte, Fähigkeiten und Ausrüstung bis zum Abwinken reinwühlen.

 

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Es gibt viel zu tun, viel zu grübeln: Ihr könnt vier Helden selbst erstellen oder vorgefertigte Charaktere wählen. Neu sind die Psychoprofile (Quirks). © 4P/Screenshot

Also rückt ihr am besten etwas näher ran an euren Bildschirm, stellt die Schrift in den Optionen auf extra groß und stellt euch auf sehr viel Lektüre ein – die lohnt sich, denn die Geschichte hat es in sich, ist richtig gut geschrieben, die süffisanten Dialoge lassen sich je nach rhetorischem Talent beeinflussen und die deutsche Übersetzung hat sich gegenüber dem schlampigen PC-Original deutlich verbessert. Jetzt heißt eine der kommunikativen Fähigkeiten also “Arschkriecher” und der höchste der vier Schwierigkeitsgrade “Oberster Wichser”. Wollt ihr einer sein? Lieber nicht, denn das Leben im Ödland ist dann verdammt kurz – ich empfehle auch geübten Spielern eher “Erfahren” oder höchstens “Ranger”.

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Trotz besserer Beleuchtung bleibt die Kulisse auf Konsolen bestenfalls solide; einige Ruckler nerven. Der Director’s Cut ist für alle Besitzer von Wasteland 2 gratis auf dem PC erhältlich. © 4P/Screenshot

Man kann auf Konsolen also endlich in unserer kernigen Muttersprache spielen, obwohl es immer noch blöde Grammatikfehler, störende Zeilenumbrüche und manchmal eine extrem winzige Schrift gibt. Nein, für eine komplett entspannte Lektüre sticht da noch zu viel ins Auge. Trotzdem erreicht die Lokalisierung jetzt eine solide Qualität, so dass man die kleinen Anekdoten, bösen Anspielungen und sarkastischen Kommentare genießen kann. Und nicht zu vergessen: Es gibt viele komplett neu eingesprochene Passagen für wichtige Charaktere, die tausende Zeilen umfassen sollen – das ist natürlich sehr lobenswert, allerdings nur auf Englisch mit optionalen Untertiteln dabei.

Gemächlicher Einstieg ohne Feuerwerk

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Über die Schultertasten werden Kreismenüs für Fähigkeiten aufgerufen. Neu ist, dass man einzelne Körperteile anvisieren kann. © 4P/Screenshot

Wasteland 2 braucht Zeit, denn es startet ganz gemächlich ohne Drama oder Explosionen mit der Suche nach einem Ranger. Es knüpft nicht an Traditionen eines Final Fantasy oder Mass Effect an, sondern natürlich an den Pionier aus dem Jahr 1988 und hinsichtlich des Spieldesigns an das erste Fallout aus dem Jahr 1997. Diese zweidimensionalen Klassiker haben die Endzeit für Abenteurer erst so salonfähig gemacht, dass Bethesda später mit der Lizenz die heute bekannteren 3D-Blockbuster daraus entwickeln konnte. Brian Fargo wird also erneut von seiner Vergangenheit eingeholt, wenn am 10. November Fallout 4 erscheint. Wie bitte? Ihr gehört tatsächlich zu denen, die nach den ersten Spielszenen mit dem Schäferhund über die “altbackene Grafik” gelästert haben? Dann Finger weg von diesem urigen Abenteuer! Die werden alle anderen dafür sehr oft brauchen, um Knöpfe und Schultertasten zu betätigen, die komplett belegt sind. Wasteland 2 bietet ein komplexes Charakter-Management mit zig Gegenständen und Fähigkeiten, mit Aufrüstungen und Anwendungen, so dass ihr bei einer vier- oder bald schon sechsköpfigen Gruppe sehr viel hin und herwechseln, tauschen und verteilen müsst. Und all das ohne das blitzelegante Mäuseklicken, sondern nur über schwerfällige Gamepadakrobatik.

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Das Kampfsystem profitiert von kleinen Verbesserungen hinsichtlich Schadensermittlung, Feindplatzierung und Beute. © 4P/Screenshot

Auch wenn inXile Entertainment das Jahr gut genutzt hat, um die Steuerung und Kulisse für Konsolen zu optimieren, erreicht man sowohl hinsichtlich der Bedienung als auch visuell höchstens durchschnittliches Niveau. Trotzdem gibt es auch mal ansehnliche Szenen: Die frische Beleuchtung innerhalb der Korridore ist sehr stimmungsvoll, es gibt sogar strukturiertere Oberflächen. Aber sowohl die Detonationen als auch Feuer wie auch Flora und Fauna lassen trotz grafischer Politur des Öfteren zu wünschen übrig. Wer die von Pflanzen überwucherten Außenanlagen der ersten Station erreicht, wird von recht platten Farben und Strukturen empfangen. Und wenn die Kamera in heiklen Momenten auf Mutanten zoomt, sieht das mitunter aus wie auf PlayStation 2. Zwar wurden manche Cutscenes aufgewertet, aber erreichen trotzdem keinen aktuellen Standard. Schade auch, dass nach dem Dreh des Blickwinkels nicht automatisch Transparenz herrscht, sondern man Mauerwerk vor der Nase hat. Und dass die Bildrate beim Anweisen der Bewegung in den rundenbasierten Gefechten tatsächlich zu kämpfen hat, ist vollkommen unverständlich.

Neue Perks und Präzisionsattacken

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Es gibt viel zu lesen und die Lektüre lohnt sich. Die deutsche Übersetzung erreicht endlich ein solides Niveau. © 4P/Screenshot

Aber ganz ehrlich? Wasteland 2 war auch auf dem PC alles andere als ein technisches Schmuckstück, sondern selbst bei voll aufgedrehten Details im besten Fall solide. Und ich habe spätestens gemerkt, dass die Kulisse egal ist, als ich gleich im Einstieg eine andere Quest als damals auf dem Rechner verfolgte, die mir andere Begleiter und Möglichkeiten eröffnete. Man darf auch nicht vergessen, dass sich dieser Test deshalb so “negativ” liest, weil ich mich auf die oberflächlichen Unterschiede konzentriere und nicht nochmal auf all das wertvolle Inhaltliche eingehe, was Drehbuch, Party-Interaktion, Dialoge und Charakterentwicklung so auszeichnet – da verweise ich erneut auf die acht Seiten Analyse in diesem Test. Letztere wurde nicht nur um die Psychoprofile erweitert, die sich ja permanent auswirken: Ein “Asket” bekommt zwar zu Beginn mehr Punkte zum Verteilen, aber darf das ganze Abenteuer über keinen Schmuck tragen; andere haben zwar höhere Trefferquoten, aber treffen nie kritisch. Hinzu kommen die 90 neuen “Perks”, die im Charakterbogen markiert sind und die  man stückweise freischaltet: Alle vier Stufen bekommt man einen Punkt, der mitunter von den eigenen Fähigkeiten abhängig ist – wer also in bestimmte Waffen investiert, wird in diesem Bereich mit einem weiteren Bonus belohnt.

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Auch auf PS4 und Xbox One braucht das Abenteuer etwas Zeit, bevor es Fahrt aufnimmt. © 4P/Screenshot

Außerdem darf man als Konsolenheld auf ein verbessertes Kampfsystem zurückgreifen: Das hat zwar immer noch seine Macken, was Schüsse durch Deckung, KI-Verhalten & Co betrifft. Aber es wurde nicht nur hinsichtlich der Schadensberechnung (vor allem im Nahkampf), der Rüstung sowie Energiewaffen und der Beute besser ausbalanciert. Man begegnet den Feinden jetzt teilweise an ganz anderen Stellen, sie befinden sich nicht in derselben Deckung und so wirken die Begegnungen etwas durchdachter und taktisch interessanter – zumal auch neue exklusive Waffen als Beute locken. Noch wichtiger: Wer die Schultertaste aufruft, kann in einem Kreismenü zum ersten Mal über “Precision Strike” einzelne Körperteile der Feinde wie Kopf, Torso, Arme und Beine anvisieren – ein toller Zusatz, der zwar zu Beginn noch wenig Trefferchancen bietet, aber bei einem Erfolg fatalen Schaden oder anhaltende Mali nach sich ziehen kann.

  1. Ganz ehrlich, das kann es doch nicht sein mit den Abstürzen. Achtung Spoiler.
    Befinde mich mit meiner Truppe auf dem Weg zur letzten Schlacht.
    In Arizona trifft man nochmal auf diesen Skorpion-Roboter. Besiegt, gut.
    Weiter.
    Mit meiner Riesenarmee gegen die Hand voll Gegner vor dem Eingang gekämpft. Hat trotzdem ewig gedauert, wegen der zig NPCs.
    Besiegt, gut.
    Will speichern.
    Stürzt ab.
    Scheiß langen Kampf noch mal gemacht.
    Gespeichert. Ok, weiter.
    Im Ranger Hauptquartier dann die Endschlacht gegen Matthias und Schergen.
    Dauert lange, relativ viele zähe Gegner und immer noch die zig NPCs.
    Matthias geht direkt zu Beginn drauf.
    Kampf geht weiter, recht hart, einige Pechmomente und ich muss das Ende wegen Wiedererweckung und Heilung hinauszögern.
    Schlinge zieht sich zu, ich nähere mich den letzten Feinden.
    Stürzt ab.
    LECK MICH SPIEL.
    Geladen, verfluchten Kampf wiederholt. Diesmal läuft alles glatt, Gegner besiegt, ich speichere.
    Blablabla, Atombombe, bla.
    Betätige den Zünder.
    Bildschirm wird schwarz, ich höre eine Explosion, einen Helikopter. Bildschirm schwarz. Oh, keine Cutscene?
    ... und jetzt ...?
    Oh.
    Abgestürzt.
    Ernsthaft, drei verdammte Male.

  2. Den Gedanken habe ich auch. Was hab ich hin und her überlegt bei der Erstellung der vierköpfigen Gruppe, ein Punkt mehr dies, ein Punkt in das ... und kurz nach Spielbeginn kriegst du direkt ein paar Spezialisten an die Hand.
    Nachtrag: Zum Thema gemütliches Spielen ...
    Viertel Stunde gezockt, abgestürzt, Dankeschön. Keine Lust mich nochmal jetzt durch die Ladezeiten zu kämpfen.

  3. In meinem Fall betraf es auch nur Takayuki. Seine Repair Fähigkeit war für mich nutzlos, hat schon ein anderer Char gehabt. Da habe ich ihn umgeskillt und stattdessen Sprengstoff gegeben.
    Meinetwegen kann man Respec Optionen ja an sehr begrenzende Items oder sonstige Hürden koppeln, aber ein bisschen Einfluss will ich schon auf die Entwicklung der "Gast" Chars haben.

  4. TheLaughingMan hat geschrieben: 01.08.2017 17:57 Von Respec Möglichkeiten, die heutzutage IMO zu jedem RPG gehören sollten ganz zu schweigen.
    Das nimmt aber die Konsequenz von Entscheidungen aus dem Spiel. Spezialisierungen werden auch überflüssig. Ein Char = sämtliche Klassen. Muss ja nur per Respec neu geskillt werden. Je nachdem, wie grenzenlos Respec verfügbar ist.
    Besser finde ich da eine ausführliche Erklärung, je nach Spiel könnte auch ein kleines Tutorial eingebaut werden, damit man genau weiß, was einen mit jener Fähigkeit erwartet.
    Es ist auch Teil des Wiederspielwertes und des Rollenspieles, einen gewählten Pfad zu gehen und bei einem weiteren Durchlauf eine andere Skillung einzuschlagen - mit einem anderen Char.

  5. Alleine schon dadurch das ich als PC Spieler bei der Charakter Erstellung auf hunderte toll gezeichneter Pics zugreifen kann war für mich wichtig. Ich erinnere mich noch an das gleiche Problem bei NWN seinerzeit...grauenhaft. Von Respec Möglichkeiten, die heutzutage IMO zu jedem RPG gehören sollten ganz zu schweigen.

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