Das Elend nach der „großen Welle“

Als erzählerischen Kniff für die rätselhafte Zukunft haben sich die Entwickler für die altbekannte Amnesie entschieden. Michael wacht mit Gedächtnisverlust in dem ihm unbekannten Flüchtlingslager auf. Im klassischen Adventure-Stil versucht er, seiner Vergangenheit und einer geheimnisvollen Seuche auf den Grund zu gehen. Im Gegensatz zu „Gelöschten“ wie Michael müssen sich die siechenden „Zerflossenen“ mit viel tragischeren Symptomen herumschlagen: Seit dem Unglück leiden immer mehr Lagerbewohner unter Verwirrtheit und wilden Visionen, bis sie schließlich im Endstadium ein bestialischer Tod ereilt. Auch der Sohn von Michaels Retter und Gastgeber ist offenbar betroffen. Die Erkrankung soll aber unter allen Umständen vor Lagerspitzeln und fiesen Einsatzkräften geheim gehalten werden – denn wenn sie Wind davon bekommen, wird der Kranke ohne Umschweife in ein „Krankenhaus“ verschleppt, aus dem noch nie jemand zurückgekehrt ist. Aus Dankbarkeit für seine Rettung begibt sich Michael also auf den Weg in die zerstörte Stadt, um ein Heilmittel zu beschaffen – und nebenbei vielleicht Hinweise auf seine frühere Existenz vor der „großen Welle“ zu finden. Zwischendurch leidet er immer wieder unter kurzen Flashbacks, die ihn für ein paar Sekunden in die Vergangenheit der jeweiligen Szene versetzen. Wenn er wegdämmert, hört er außerdem die vertrauten Worte einer Frau, die ihn anfleht, aufzuwachen.

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Ein geheimnisvoller Riss am Himmel hat Unheil in die Welt gebracht. © 4P/Screenshot

Entwickler Fictiorama wollte mit seinem Spiel das Gefühl offen gehaltener Adventure-Klassiker einfangen. Daher eröffnen sich im Laufe des Spiels immer neue Areale, zwischen denen ich immer wieder wechsle, um mit neuen Erkenntnissen und Gegenständen anderswo Rätsel zu lösen. Seinen Anfang nahm das Projekt übrigens als Kickstarter-Kampagne. Bei der Entwicklung wurde das Team von Daedalic unterstützt, die auch als Publisher fungieren. Die kantigen Zeichnungen orientieren sich laut Hülle am Expressionismus. Mein Fall sind sie ganz und gar nicht, weil die eckigen Gesichter allesamt recht maskenhaft wirken und kaum unterschiedliche Emotionen vermitteln. Michaels Unterleib wirkt besonders plump: Seine Füße und Beine ergeben zusammen nur einen einfarbigen grauen Klumpen, der vor ähnlich grauem Hintergrund manchmal kaum noch sichtbar ist. Auch die Bewegungen sind sehr minimalistisch gehalten – zum Aufnehmen oder Verwenden von Gegenständen z.B. spult Michael ständig die gleiche Animation ab.

Hoffnungslosigkeit in Spielform

Was ich dem Comic-Stil aber zugestehen muss, ist, dass er die Trostlosigkeit des Szenarios passend einfängt. Jedes Fleckchen der Welt strahlt Hoffnungslosigkeit aus – ob ich nun durch das müllverseuchte Lager oder die mit Trümmern, Leichen und Blutflecken übersäte Stadt wate. Auch der finstere Soundtrack der Indie-Rockband Kovalski trägt seinen Teil zur Stimmung bei; im Ohr geblieben ist mir aber keines der Stücke.

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Als sein Gastgeber sich plötzlich mit seinem kranken Sohn einschließt, erkundet Michael das Lager auf eigene Faust. © 4P/Screenshot

In der allgegenwärtigen Tristesse liegt aber auch das größte Problem des Spiels:  Es wirkt fast die ganze Zeit über wie ein zäher, deprimierender Trip von einer Einöde in die Nächste. Was auch passiert, es gibt kaum erzählerische Tempowechsel, ausgefallene Situationen oder ähnliche Tricks, mit denen etwas mehr Dynamik oder Dramatik ins Spiel kommen könnte. Stattdessen klappere ich nach und nach immer mehr verfallene Schauplätze ab, löse klassische Inventar- und Umgebungsrätsel und lerne die psychotische Gesellschaft der Überlebenden kennen. Ein paar aufrechte Personen wie Familienvater Rod haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschlichkeit in schweren Zeiten zu bewahren. Der Großteil seiner Zeitgenossen ist aber entweder verrückt geworden, in Resignation verfallen oder zu opportunistischen Machtinstrumenten der Lager-Hierarchie mutiert. Ein Händler mit dem mysteriösen Namen „Der Jäger“ hat sein altes Ich „Hank“ in der alten Welt zurückgelassen und geht völlig in seiner neuen machtvollen Position auf. Wenn ich Sprit oder wertvolle Informationen in seine Bar bringe, kann er einiges auftreiben, z.B. dringend benötigte Batterien. Egal, mit welchen ethischen Einwänden Michael ihn konfrontiert – der Jäger schafft es stets, Michael damit zu entwaffnen, dass auch er letztendlich nur für den Eigennutz handle und schlimme Taten in Kauf nehme.

 

  1. Wer hat nur diesen potthässlichen Zeichenstil verbrochen? Ist ja schön und gut, wenn sich Spiele durch etwas Extravaganz in der Optik vom Einheitsbrei unterscheiden wollen.
    Aber muss das denn so häufig in solch hässlichen Figuren und Umgebungen gipfeln?

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